Dogmen und andere
Glaubensmeinungen
Inhalt
Vorbemerkungen
Es besteht nicht die Absicht an
dieser Stelle eine ausführliche Geschichte der
Dogmenentstehung auszubreiten. Wer sich intensiver mit diesem
Themenkomplex befassen möchte, sei auf einschlägige
theologische Werke verwiesen, z. B. auf die Dogmengeschichte
von Wolfgang
A. Bienert,
die Geschichte des Christentums in Grundzügen
von Bernd
Moeller, Die
Entstehung des christlichen Dogmas von Martin
Werner oder die Dogmengeschichte
von Adolf
von Harnack.
Im Rahmen dieser Website erscheint es als angemessen und machbar, nach
dem Versuch einer Begriffsklärung, die Orte und Zeitpunkte der
Beschlüsse der wesentlichen christlichen Dogmen und ggf.
abweichende zeitgenössische Gegenpositionen darzustellen.
Danach folgt ein weiterer Versuch, der Versuch einer kritischen
Würdigung.
Was heißt Dogma?
Nach
dem Duden stammt der Begriff aus dem Griechischen
und bedeutet (in der Kirchenlehre) Glaubenssatz
oder Lehrmeinung. – Wolfgang
A. Bienert
verweist auf die "ursprüngliche Bedeutung" des Begriffes
– »das, was als richtig erschienen ist«".
Nach Darstellung einiger Entwicklungsschritte seit dem frühen
Christentum schließt er seine Begriffsklärung mit
Hinweisen auf das heute vorherrschende Verständnis in den
beiden wesentlichen christlichen Konfessionen. In der
römischen Konfession wurde es mit dem Ersten Vatikanischen Konzil (1870)
"... zur amtlich
verfügten und damit verfügbaren Kirchenlehre und
Glaubensvorschrift. – Für evangelisches
Verständnis formuliert dagegen der Lutheraner
W. Elert: »Dogmen sind Kirchenlehren. Sie beruhen
auf der Glaubenserkenntnis der christlichen Kirche. Nach evangelischem
Verständnis sind sie nicht Glaubensdekrete, sondern
Glaubensbekenntnisse. Sie sagen nicht, was geglaubt werden soll,
sondern was geglaubt wird«."
Was das Dogmenverständnis
der römischen Konfession angeht, ist der obige knappe Hinweis
eines protestantischen Theologen auf die Definition des Ersten
Vatikanischen Konzils vielleicht doch zu wenig. Ein Blick in den
Katechismus der Katholischen Kirche (KKK) vermittelt ein wesentlich
klareres Bild. Unter der Überschrift Die Dogmen des
Glaubens heißt es in den Artikeln 88 und 89:
"88
Das Lehramt der Kirche setzt die
von Christus erhaltene Autorität voll ein, wenn es Dogmen definiert, das
heißt wenn es in einer das christliche Volk zu einer
unwiderruflichen Glaubenszustimmung verpflichtenden Form Wahrheiten
vorlegt, die in der göttlichen Offenbarung
enthalten sind, oder auch
wenn es auf endgültige Weise Wahrheiten vorlegt,
die mit diesen in einem notwendigen Zusammenhang stehen.
89 Unser geistliches Leben und die
Dogmen stehen in organischer Verbindung. Die Dogmen sind Lichter auf unserem
Glaubensweg, sie erhellen und sichern ihn. Umgekehrt
werden durch ein rechtes Leben unser Verstand und unser Herz
geöffnet, um das Licht der Glaubensdogmen aufzunehmen [Vgl.
Joh 8, 31–32] (Vgl. dazu auch 2625)."
Anmerkungen
- Hervorhebungen im KKK-Zitat
stammen vom Autor der Site.
- Beim Lesen dieses Textes römischer Herkunft frage ich mich,
was daraus über den "Stellvertreter" und seine Vasallen, die
das "Lehramt der Kirche" bilden, zu erfahren ist: Mir springen
insbesondere ihre erschreckenden Defizite an intellektueller
Redlichkeit, ihre geradezu unerschöpfliche Fantasie und ihre
nicht zu überbietende Chuzpe ins Auge.
Die
wesentlichen christlichen Dogmen
In der einschlägigen Literatur werden
zwei grundlegende Dogmen genannt, das »trinitarische«
und das »christologische«
Dogma. Wolfgang
A. Bienert
benennt darüber hinaus noch ein drittes, das »pneumatologische«
Dogma, das die Gottheit des Heiligen Geistes betrifft. Die Berechtigung
der einen oder der anderen Dogmenstruktur wird hier nicht untersucht.
Anmerkungen
- Diese Dogmenstruktur findet sich in der einschlägigen
theologischen Literatur des protestantischen Teils des organisierten
Christentums.
- Im Schrifttum und in der Glaubenspraxis der
römischen Konfession spielen darüber hinaus noch
eine große Zahl weiterer Dogmen eine wichtige Rolle (z. B. div.
Mariendogmen, Dogma der
Unfehlbarkeit des Papstes). Der Autor Walter Gerhardt hat insgesamt
245(!) Dogmen der römisch-katholischen Kirche dokumentiert (s. hier). Bemerkenswert ist: Der Zölibat kommt in dieser Liste nicht vor.
Orte
und Zeitpunkte der Festlegung der Dogmen
Schon im Urchristentum gab es
Zusammenkünfte, auf denen Vereinbarungen über
wichtige christliche Glaubensmeinungen getroffen wurden. Als wohl erste
dokumentierte Zusammenkunft dieser Art gilt das sog. "Apostelkonzil", das zwischen 44
und 49 n. Chr. in Jerusalem stattfand. Vertreter der Jerusalemer
Urgemeinde, u. a. Petrus und Jakobus, trafen sich damals mit Paulus.
Kirchliche
Versammlungen wurden und werden meist als Synoden bezeichnet. Es hat
sich wohl im Laufe der Kirchengeschichte eingebürgert,
besonders wichtige Synoden synonym als Konzile oder Konzilien zu
bezeichnen. Heute werden die wichtigsten kirchlichen Versammlungen, die
ab dem frühen 4. Jahrhundert die entscheidenden
Beschlüsse über die grundlegenden christlichen Dogmen
fassten, auch "Ökumenische Konzile"
genannt, weil die Ergebnisse, in ihrer Gesamtheit oder zumindest in
Teilen, noch heute von den unterschiedlichen christlichen Konfessionen
anerkannt werden. Im Wesentlichen geht es in diesem Zusammenhang um
vier Versammlungen: in Nicäa
(325), Konstantinopel (381), Ephesos (431) und Chalcedon (451).
Erstes
Konzil von Nicäa (325)
Nicht zuletzt der sog. arianische
Streit, dem nicht nur theologische Meinungsverschiedenheiten,
sondern auch persönliche Rivalitäten zwischen dem
Bischof von Alexandrien, Alexander (†328), und
dem Presbyter Arius
(260-336) zugrunde lagen, veranlasste Kaiser Konstantin (272/285-337), ein
Konzil nach Nicäa einzuberufen. Der
Kaiser tat dies aus purem Machtkalkül. Ihm war daran gelegen,
destabilisierende Entwicklungen in der zunehmend erstarkenden Kirche,
die zur gesellschaftlichen Destabilisierung des Römischen
Reiches hätten beitragen können, möglichst
schon im Keime zu ersticken.
Worum ging es im
"arianischen Streit"?
Schon mit Paulus, also seit Mitte des 1. Jahrhunderts, begann der
Prozess der Vergottung des Menschen Jesu zum antik-hellenistischen Gott
Christus (s. Menüpunkt
Jesus). Im Laufe des 2. Jahrhunderts wurde die Gottheit Jesu
wohl zu einem weitestgehend anerkannten Faktum. Dennoch gab es keine
einhellige Meinung über die genaue Ausprägung seiner
Göttlichkeit, insbesondere in Beziehung und/oder in Abgrenzung
zu dem »einen und einzigen« Gott, dem Vater. Von Origenes
(185-254) war "zwar die enge Zusammengehörigkeit der drei Hypostasen Vater,
Sohn und Geist festgestellt worden, doch war offen geblieben, wie das
Rangverhältnis zwischen ihnen zu denken sei" (Bernd Moeller).
In den ersten Jahrzehnten des 4.
Jahrhunderts eskalierten dann die Auseinandersetzungen – das
Vater-Sohn-Verhältnis betreffend – zwischen den
maßgeblichen Köpfen der damaligen Kirche. Es
kristallisierten sich zwei wesentliche Standpunkte heraus, die sich,
vereinfacht, etwa so definieren lassen: Bischof Alexander und
Gesinnungsgenossen vertraten die Auffassung, Jesus Christus sei "eines
Wesens mit dem Vater" (Homoousie). Arius
hingegen war der Überzeugung, dass "der Sohn vom Vater trotz
aller Sonderstellung, die ihm innerhalb der Welt der Geschöpfe
zukommt, wesenhaft getrennt" sei (Wolfgang
A. Bienert).
Ergebnis
Auf dem ersten
Konzil von Nicäa erreichten das "trinitarische" und
das "christologische"
Dogma einen wichtigen Meilenstein. Das "christologische",
dass sich mit der Gottheit
Christi befasst, hatte dabei wohl das
größere Gewicht. In dem auf Druck Kaiser Konstantins zu Stande gekommenen
und beschlossenen Glaubensbekenntnis (Nicänum) spiegelte sich
der Sieg der Ariusgegner (»eines Wesens mit dem
Vater«). Dem Glaubensbekenntnis wurde eine Verurteilung
derjenigen angefügt, die etwas anderes lehrten. Die Arianer
wurden nicht explizit genannt, waren aber gemeint. Der Beschluss einer
vorausgehenden Synode, die Arius
schon 324 zum Ketzer erklärt hatte, wurde bestätigt.
Der Besitz arianischer Schriften wurde mit der Todesstrafe bedroht!
Anmerkung
Der Theologe und Historiker Gottfried
Arnold (1666-1714) hat, in der barocken Sprache des
ausgehenden 17. Jahrhunderts, sehr eindrücklich beschrieben,
welche Konsequenzen Andersdenkenden drohten (s. hier).
Der
"arianische
Streit" schwelte dennoch weiter
Der spätere Nachfolger des Bischofs Alexander, Athanasius (295-373), vertrat die
Überzeugung, "Jesus, der Retter der Welt und aller Menschen,
konnte nicht selbst ein erlösungsbedürftiges
Geschöpf sein. Wenn Arius aus Jesus ein Geschöpf
machte, raubte er der Menschheit den Erlöser." (s. hier)
Der reformierte Theologe Martin Werner (1887-1964)
beschreibt in seinem Buch Die
Entstehung des christlichen Dogmas die Ursachen
für die "Wirren des arianischen Streits":
"Der tiefste Grund aller
Schwierigkeiten, Verlegenheiten und Sophistereien dieser Situation ist
das Misslingen des Schriftbeweises. Keine der streitenden Parteien
vermag zur Lösung des Problems des Ausgleichs zwischen
uneingeschränktem Monotheismus und Unterscheidung der
Eigenpersönlichkeit des Sohnes vom Vatergott aus der heiligen
Schrift ein sicheres, einleuchtendes und durchschlagendes Argument zu
gewinnen."
Erstes
Konzil von Konstantinopel (381)
Der arianische
Streit (s. o.) war auch Jahrzehnte nach dem bedeutenden
Konzil von Nicäa nicht entschieden. Ganz im Gegenteil: Unter
den Nachfolgern des Kaisers Konstantin gab es solche, die mit
der Lehre der "Arianer" sympathisierten. Seit 379 regierte Theodosius I. den Osten des
Römischen Reiches. Er hatte sich auf die Seite der
Arius-Gegner gestellt, die das Nicänum, das in Nicäa
verabschiedete Glaubensbekenntnis, als alleinige Basis des christlichen
Glaubens anerkannten. Theodosius ist auch als der Kaiser in die
Geschichte eingegangen, der im Jahre 380, zusammen mit Gratian,
dem Kaiser im Westen und dessen Mitkaiser Valentinian II., per Edikt (cunctos populos)
das Christentum zur Staatsreligion und die Kirche zur Reichskirche
erhob. Gleichzeitig wurden alle, die den "trinitarischen"
Glauben nicht anerkannten, zu Häretikern
erklärt und mit Strafen bedroht.
Der Streit zwischen den
"Trinitariern", wie die Arius-Gegner auch genannt werden, und den
"Arianern" nahm Anfang der achtziger Jahre des 4. Jahrhunderts offenbar
bedrohliche Formen an. Theodosius I., der wohl der Gefahr einer
möglichen Kirchenspaltung vorbeugen wollte, berief daher 381
eine regionale Kirchensynode nach Konstantinopel ein, die Klarheit
bringen sollte. Diese Synode wurde wegen ihrer grundlegenden Bedeutung
für das christliche Glaubensgut im Nachhinein zum zweiten ökumenischen Konzil
aufgewertet.
Ergebnis
In Konstantinopel bildete wahrscheinlich das Nicänische Glaubensbekenntnis
die Ausgangsbasis. Es wurde bestätigt, ergänzt und
neu gefasst. Während in Nicäa die "Festschreibung"
der Gottheit Christi das wichtigste Teilergebnis war, ist es hier die
abschließende "Festlegung" der Gottheit des Heiligen Geistes.
Im Nicänum kam der Heilige Geist nur in einem kurzen
Schlusssatz vor, im Glaubensbekenntnis von Konstantinopel wird ihm
deutlich mehr Raum gegeben. Das "trinitarische" Dogma
(inkl. seines "pneumatologischen"
Teilaspektes) fand hier seine endgültige Form. – Bernd
Moeller: "Die Lehre
von der Trinität ist das erste eigentliche
»Dogma« der Kirche, und es ist für die
Dauer ihr Grunddogma geblieben."
Sowohl vom Konzil in Nicäa
als auch von dem in Konstantinopel sind weder Akten noch Protokolle
überliefert. Daher kennt man den Wortlaut der Bekenntnisse
erst aus den Dokumenten des Konzils von Chalcedon, dem 4.
ökumenischen Konzil (s. unten).
Hierin ist der Grund dafür zu suchen, dass die
Entstehungsgeschichte der Bekenntnisse bisher nicht eindeutig
geklärt werden konnte. Seit dem 17. Jahrhundert wird das
Bekenntnis von Konstantinopel als "Nicäno-Konstantinopolitanum"
bezeichnet (Wolfgang A. Bienert).
Der auf diesem Konzil
endgültig verworfene "Arianismus" hat sich in den Kerngebieten
der damaligen Kirche nicht länger halten können. Nur
bei den Goten und Vandalen
überdauerte die arianische Glaubensrichtung noch einige
Jahrhunderte.
Konzil
von Ephesos (431)
Die Streitigkeiten
zwischen den führenden Theologen der damaligen kirchlichen
Machtzentren Alexandria, Antiochia, Konstantinopel und Rom
über Teilaspekte des "christologischen" Dogmas gingen weiter.
Die Auseinandersetzungen, auch nestorianischer Streit genannt, kulminierten in der Zeit zwischen 428
und 431. In 428 wurde Nestorius
(nach 381-um 451), ein Mann aus Antiochia, Bischof von Konstantinopel.
Er stand für eine »Zwei-Naturen-Lehre«
bezogen auf die "Person" Christi: "Nicht eine Einheit von Gottheit und
Menschheit, sondern nur ein Verhältnis beider zueinander sei
anzunehmen" (Bernd Moeller).
Die Gegenposition ist mit dem Namen Kyrills, des Patriarchen von
Alexandria, verknüpft. Von ihm "wurde die »physische
bzw. hypostatische Einung« der Naturen hervorgehoben" (Wolfgang A. Bienert).
Der damalige Papst Coelestin I.
unterstützte die alexandrinische Position und gab Kyrill, "dem
mächtigen und bis zur Gewalttätigkeit skrupellosen
Patriarchen" (Bernd Moeller)
den Auftrag, die Angelegenheit zu klären. Eine 430 nach
Alexandria einberufene Synode verurteilte unter der Leitung Kyrills die
antiochenische Position. Darüber hinaus wurde Nestorius
aufgefordert, die mit der alexandrinischen Christologie verbundene
Vorstellung von der Rolle der Maria als
»Gottesgebärerin« anzuerkennen. Nestorius,
der, aus seiner Sicht folgerichtig, allenfalls die Bezeichnung
»Christusgebärerin« akzeptieren konnte,
beugte sich den Forderungen nicht.
Um doch noch eine Einigung zwischen
den Vertretern der gegensätzlichen Glaubensmeinungen zu
erreichen, berief Kaiser Theodosius II. 431 eine Synode
nach Ephesos ein. Dort "ging es
dramatisch zu" (Wolfgang A.
Bienert), "kam es zu allerlei tumultuarischen Szenen und
schließlich zu einer Spaltung der beiden Parteien, die sich
gegenseitig verdammten" (Bernd
Moeller). Dann geschah etwas, was nur als kurios bezeichnet
werden kann: Der schwache Kaiser, der zunächst seinen Bischof
Nestorius unterstützt hatte, ließ sich dazu
hinreißen,die Konzilsentscheidungen beider(!) Parteien
anzuerkennen. Darüber hinaus ließ er die
führenden Köpfe beider Gruppen gefangen setzen:
"So war die Lage ganz verworren,
und sie wurde dadurch nicht durchsichtiger, dass Cyrill aus dem Gefängnis
entfliehen konnte und sich 433 bereit fand, zusammen mit seinen Gegnern
eine »Unionsformel« zu unterzeichnen, in der er
wesentliche Zugeständnisse machte. Nestorius hätte
diese Formel durchaus unterschreiben können. Doch blieb er
abgesetzt und verbannt, und die Teilsynode Cyrills von 431 wurde das dritte heilige Konzil nach
Nicäa und Konstantinopel. Deutlich hatte sich der theologische
Stil gewandelt. Das Denken in Namen und Schulen statt mit Argumenten
begann überhand zu nehmen" (Bernd
Moeller).
Ergebnis
Das wichtigste Ergebnis der "Teilsynode Cyrills
von 431" war wohl die Festlegung der Rolle der Maria als »Gottesgebärerin«,
und es ist bekannt, "das riesige Bestechungsgelder mitentschieden, die
der Patriarch von Alexandrien, der hl. Kyrill, allen möglichen
Leuten zuschob" (Karlheinz
Deschner). Zum "christologischen" Dogma bzw. zu Teilaspekten
davon brachte das Konzil von Ephesos keine
Klärung, und die danach, im Jahre 433 gefundene
"Einigungsformel" war wohl auch nur als vorläufig zu
betrachten.
Es kam übrigens nicht von
ungefähr, dass gerade in Ephesos
die Diskussion um Maria
eine so große Rolle spielte: Ephesos war ein "Zentrum
altkirchlicher Marienverehrung" (Wolfgang
A. Bienert). Dies verwundert nicht, war Ephesos doch vorher
ein Zentrum glühender Verehrung der
(Fruchtbarkeits-)Göttin Artemis, deren berühmter Tempel, eines der sieben Weltwunder, sich dort
befand und zwar bis zu seiner Zerstörung durch die Goten
im Jahre 262 n. Chr.
Nach dem Konzil gründeten
Parteigänger des Nestorius eine eigene Kirche, deren Zentrum
im damaligen Sassanidenreich lag. Diese Kirche
wurde häufig als nestorianische Kirche
bezeichnet. Da ihre Lehre mit der des Nestorius jedoch kaum etwas zu
tun hatte, trifft wohl eher die ebenfalls gebräuchliche
Bezeichnung assyrische Kirche des Ostens
zu. Bemerkenswert ist, dass diese Kirche Missionsaktivitäten
bis nach Indien, China, Japan und Indonesien entfaltete. Sie wurde erst
im 14. Jahrhundert von muslimischen Mongolen weitgehend
zerstört. Reste dieser Kirche gibt es noch heute im Nahen
Osten.
Anmerkung
Das erste schismatische Ereignis im frühen
Christentum war von Markion schon im 2. Jahrhundert ausgelöst
worden. Er gründete um 144 die markionitische Kirche,
die in Ägypten und Persien noch bis ins 6. Jahrhundert
existierte. Gemessen an diesem frühchristlichen Geschehen,
verursachte das Ergebnis von Ephesos wohl eine noch bedeutendere
Abspaltung von Verfechtern abweichender Glaubensmeinungen von der
damaligen Reichskirche.
Die
"Räubersynode" von Ephesos (449)
Im Jahre 444 starb Kyrill von Alexandria. Dieses
Ereignis führte zum Wiederaufflammen des schwelenden Streites
über das christologische Dogma: Es entzündete sich
der sog. eutychianische
Streit (448-450).
Namensgeber war Eutyches,
ein Klostervorsteher in
Konstantinopel, der konsequent die Position Kyrills (s. o.) vertrat.
Mit dem Namen Eutyches ist der Begriff des Monophysitismus eng verbunden,
eine Glaubensmeinung, die nur eine einzige,
und zwar die göttliche Natur Christi anerkennt.
Einen Eindruck von den Macht- und Ränkespielen im Zusammenhang mit den "eutychianischen" Streitigkeiten auf den Konzilien der späten Vierzigerjahre des 5. Jahrhunderts vermittelt Wolfgang
A. Bienert in seiner Dogmengeschichte:
"Eutyches
war zunächst von
einer Synode in Konstantinopel unter Leitung des Ortsbischofs Flavian
(448) verurteilt worden. Kurz darauf rehabilitierte ihn ein Konzil in
Ephesus (449). Dieses wurde von Dioskur, dem Nachfolger Kyrills,
beherrscht, der zu dieser Zeit enge Beziehungen zum kaiserlichen Hof in
Konstantinopel unterhielt. Anstelle des Eutyches wurde nun Flavian, der
Bischof von Konstantinopel, abgesetzt und in die Verbannung geschickt,
wo er kurz darauf starb".
Dioskur hatte die eutychianische
Position mit Hilfe von Soldaten sowie syrischen und
ägyptischen Mönchshorden gewaltsam durchgesetzt.
Wegen dieser Gewalttätigkeiten, aber wohl auch deshalb, weil
das Ergebnis nicht mit seiner christologischen Glaubensmeinung
übereinstimmte, nannte der damalige Bischof von Rom, Papst Leo I., diese Synode
"Räuberversammlung". Seine gegensätzliche
christologische Auffassung, die Christus zwar eine
Person aber zwei Naturen, eine göttliche
und eine menschliche, zuschrieb, war mit der Position, die Eutyches und
Dioskur vertraten, nicht vereinbar.
Konzil
von Chalcedon (451)
Im Jahre 450 kam Kaiser Theodosius II. bei einem
Jagdunfall ums Leben. Sein Nachfolger, Markian,
ließ in 451, nicht zuletzt auf Betreiben seiner Frau Aelia Pulcheria, der Schwester
seines Vorgängers, ein weiteres Konzil einberufen, und zwar
nach Chalcedon. Auf diesem Konzil wurde
nun Dioskur, der die
"Räubersynode" von Ephesos in 449 (s. o.) beherrscht hatte,
abgesetzt und in die Verbannung geschickt.
Ergebnis
Auf dem Konzil von Chalcedon wurden die
Glaubensformeln von 325 und 381 bestätigt und durch
ergänzende Formeln präzisiert. Das sog. Chalcedonense ist kein neues
Glaubensbekenntnis, sondern erscheint eher als so etwas wie ein um
abschließende Klärung bemühter Kommentar.
Seine, zum Dogma erhobene, Kernaussage lautet kurz gefasst: Der Gott
Christus ist eine einzige
Person bzw. Hypostase,
die zwei
Naturen besitzt, eine göttliche
und eine menschliche,
"die jedoch weder miteinander vermischt oder
ineinander verwandelt noch geschieden
oder getrennt sein sollten" (Bernd Moeller). Mit dieser
dogmatischen Lehrformel wurde die 449 vorherrschende "eutychianische"
bzw. "monophysitische" Position, die Christus nur eine
einzige Natur und zwar eine göttliche
zuschrieb, endgültig verurteilt.
Nach Wolfgang
A. Bienert gilt die christologische Formel des Konzils von Chalcedon "als
Abschluss der Entstehungsgeschichte des christologischen Dogmas und
oft als Abschluss der altkirchlichen Dogmengeschichte insgesamt".
Kirchenhistoriker messen diesem
Konzil darüber hinaus noch eine goße
kirchenpolitische Bedeutung mit Langfristwirkung bei:
- Das sog. Ökumenische Konzil setzte
sich als höchstes Entscheidungsorgan über Fragen
kirchlicher Lehre durch.
- Der Primat des Bischofs von Rom wurde
weitgehend anerkannt. Das lag nicht zuletzt an der
Persönlichkeit des amtierenden Papstes Leo I. Er war wohl "der erste
bedeutende Bischof von Rom seit 200 Jahren" (Bernd Moeller).
- Die bei den entscheidenden
Beschlüssen unterlegenen Vertreter der ägyptischen
Kirche bzw. der alexandrinisch-kyrillischen Glaubensmeinung empfanden
das Chalcedonense als zu
"nestorianisch" (s. o.) und wollten sich ihm nicht beugen. "Es kam zur
Spaltung der Kirche und zur Entstehung einer selbständigen
ägyptischen (»koptischen«) Kirche."
Weitere "nicht-chalcedonensische" Kirchen bildeten sich unter Syrern,
Armeniern und Äthiopiern. Wolfgang
A. Bienert stellt weiter fest: "Christliche
Identität wird nun zu einer konfessionell bestimmten
Identität."
Das
Filioque-Problem (589)
Nach 451 gingen die Streitigkeiten
um das christologische Dogma noch bis weit in das 6. Jahrhundert hinein
weiter. Die in Chalcedon erreichte Grundstruktur dieses Dogmas wurde
zwar nicht mehr geändert, es wurden jedoch "weitere
Differenzierungen und Präzisierungen hinzugefügt" (Bernd Moeller).
In der zweiten Hälfte des
6. Jahrhunderts wurde im Westen der damaligen Reichskirche eine
folgenschwere Entscheidung über eine Präzisierung des
pneumatologischen
Teils des trinitarischen
Dogmas getroffen: In 589, auf dem dritten Konzil von Toledo, wurde das Glaubensbekenntnis von Konstantinopel
ergänzt. Betroffen war die Aussage über die Herkunft
des Heiligen Geistes.
Der entsprechende Textteil mit der Ergänzung von Toledo
lautet:
»…
Wir glauben an den Heiligen Geist,
der Herr ist und lebendig macht,
der aus dem Vater und dem Sohn
hervorgeht,
…«
|
»…
Et in Spiritum
Sanctum,
Dominum et vivificantem,
Qui ex Patre Filioque
procedit.
… «
|
Das Filioque
war vermutlich nicht ursächlich, wohl aber ein wichtiger
theologischer Aspekt im Prozess der seit dem 5. Jahrhundert
fortschreitenden Entfremdung zwischen den östlich-orthodoxen Kirchen
und der westlichen römisch-katholischen Kirche.
Diese Entfremdung führte schließlich zum Morgenländischen Schisma
(auch als Großes Schisma bekannt), zur Trennung der
maßgeblichen christlichen Konfessionen. Als entscheidendes
Datum für diese Trennung wird meist das Jahr 1054 angegeben.
Damals haben sich der Bischof von Rom (Papst
Leo IX.) und der Patriarch von Konstantinopel (Michael I.) gegenseitig
exkommuniziert.
Die Orthodoxe Kirche hat das
Filioque nie anerkannt. Die Katholische Kirche erhob es im Jahre 1215 (4. Laterankonzil) offiziell zum
Dogma.
Anmerkung
Mir als Nichtlateiner erschien die Wortkonstruktion filioque als sonderbar: Das Bindewort
und wird in der
Endsilbe eines Wortes abgebildet. Ich verstand es besser als ich mir
das Hoheitszeichen SPQR
des antiken Roms im Volltext vergegenwärtigte: Senatus
Populusque
Romanus
(Senat und Volk von Rom).
Versuch
einer kritischen Würdigung
Nach einer kurzen
Betrachtung der zwei christlichen Grunddogmen – Gottheit Christi und Trinität
– und nach Darstellung der kritischen Haltung einiger Autoren
zu diesen tradierten Glaubensmeinungen, richtet sich das Augenmerk u.
a. auf die "Instrumentalisierung" der auf den Konzilien beschlossenen
Dogmen durch die jeweiligen Machthaber des organisierten Christentums.
Vergottung des Menschen Jesu zur
antik-hellenistischen Gottheit Christus Die
Vordenker des frühen Christentums konnten auf Vorbilder bzw.
auf Modellvorstellungen von Gottheiten zurückgreifen, die in
älteren Religionen, insbesondere aber in den damals bekannten
Mysterienkulten, schon lange vor unserer Zeitrechnung, entwickelt
worden waren. Folgerichtig finden sich in der Biografie des
christlichen Gottes Christus viele biografische Details anderer antiker
Götter (z. B. von Asklepios,
Dionysos und Mithras).
In seinem Buch Die Entstehung des
christlichen Dogmas zitiert der Theologe Martin Werner (1887-1964) den
frühchristlichen Theologen Justin (um 100-165):
"..., sagt doch bezeichnenderweise
sogar dieser philosophisch gebildete Theologe schließlich
seinen Lesern geradewegs heraus: »Im Vergleich mit euren
Erzählungen von Söhnen des Zeus bringen wir nichts
Neues vor.« Dann zählt er auf: Hermes, Asklepios,
Herakles usf."
Es war von allem Anfang an das
erklärte Ziel der frühchristlichen Autoren einen Gott
zu beschreiben, der allen anderen Göttern mindestens
ebenbürtig war, um mit ihnen konkurrieren zu können.
Nur als Gott konnte Christus den Gläubigen der neuen Religion
glaubwürdig jene »Erlösung«
verheißen, die auch von den Gottheiten anderer Religionen in
Aussicht gestellt wurden. Chancengleichheit auf dem Markt des sakralen
Wettbewerbs um die Gunst der Gläubigen war das
erklärte Ziel der "Marketingstrategen" des frühen
Christentums.
Im nachfolgenden Prozess der
Dogmenentwicklung wurde die »Kunstfigur« des Gottes
Christus von den frühchristlichen Vordenkern stetig
weiterentwickelt. Sie definierten dabei die Eigenschaften ihres Gottes
immer präziser. Zunehmend bildete sich bei ihnen die
Vorstellung aus, dass er den anderen Göttern keineswegs nur
ebenbürtig, sondern weit überlegen war. Sie empfanden
es nicht als anmaßend, dem von ihnen erfundenen Gott u. a.
den Titel »Pantokrator« zu verleihen, was etwa Weltherrscher
oder Herrscher über die ganze Welt und den gesamten
Kosmos bedeutet. Und als das organisierte Christentum
schließlich die nötigen Machtmittel besaß,
war ihm die erreichte Chancengleichheit bei weitem nicht genug.
Vielmehr ging es umgehend daran, seine Glaubensmeinung im gesamten
Römischen Reich brutal durchzusetzen - eine Glaubensmeinung
von geradezu größenwahnsinnigem Zuschnitt.
Die Theologin Uta Ranke-Heinemann (*1927)
reflektiert in ihrem Buch Nein
und Amen die Ergebnisse der "für das
Märchengebäude des Christentums grundlegenden
Konzilien". Das Konzil von Nicäa
(325) hatte entschieden, "dass auch der Sohn Gott ist und genauso alt,
d. h. genauso ewig wie sein Vater." Die daraus abgeleitete Tradition
der Kirchen stellt sich ihr so dar:
"Inzwischen haben
die Christen überhaupt keine Probleme mehr damit, dass nun
alle Weihnachten Gott als Säugling in Windeln in der Krippe
liegt. Im Gegenteil. Die Säuglingswerdung Gottes kommt ihrer
infantilisierenden Theologie, die aber auch wirklich alles für
möglich hält, sogar entgegen, dank dem Einsatz der
Universal-Waffe gegen jeden Funken Verstand: »Bei Gott ist
kein Ding unmöglich«, einer Zauberformel, die noch
nie versagt hat, den Christen auch auf verlorenstem Posten ihr
Gefühl der Überlegenheit über die
menschliche Vernunft zu belassen, denn je größer die
Beschädigung der Vernunft, desto stärker die Macht
des Glaubens."
Das Christologie-bezogene Resultat
des Konzils von Chalcedon (451), das
einen vorläufigen Abschluss der seit Nicäa
(325) anhaltenden Auseinandersetzungen markierte, ist für
Ranke-Heinemann (*1927) die "Krönung der Jesuslegende":
"Mit diesem
Höhepunkt, dieser Krönung der Jesuslegende, dieser
Quadratur des Kreises auf dem 4., dem Konzil von Chalcedon:
»Christus ist wahrer Gott und wahrer Mensch«, enden
diese ersten vier allgemeinen christlichen Konzilien, die als die
für alle Christen – d. h. für Katholiken,
Protestanten und Orthodoxe – wichtigsten Konzilien gelten,
als die für alle Christen verbindliche Auslegung der
biblischen Botschaft, womit das jahrtausendelange Rätselraten,
wie kann ein Mensch Gott, und wie kann ein Gott Mensch sein, erst
eigentlich beginnt und niemals mehr enden wird."
Uta Ranke-Heinemann hatte bei ihren
vorgenannten Überlegungen wohl insbesondere die
"landläufige katholische Primitivtheologie" vor Augen. M. E.
unterscheidet sich die gängige protestantische Theologie, in
Bezug auf die eben angesprochenen dogmatischen Glaubensmeinungen,
jedoch kaum von dieser römischen Variante.
Für den Philosophen Walter
Kaufmann
(1921-1980) liegt in der Vergottung Jesu die entscheidende Differenz
zwischen Judentum und Christentum:
"In Israel ist niemals ein Mensch
angebetet oder auch nur zum Halbgott erhoben worden. Dies ist eine der
außergewöhnlichsten Tatsachen der Religion des Alten
Testaments und bei weitem der wichtigste Grund, warum die Juden das
Christentum und das Neue Testament ablehnen."
Für die Menschen der
hellenistischen Spätantike, die Menschen jüdischen
Glaubens ausgenommen, war es wohl nicht besonders schwierig, die dem
Menschen Jesu zugeschriebene Göttlichkeit unkritisch
hinzunehmen. Es machte ihnen wohl auch keine große
Mühe, Aussagen über das Wesen oder über
Eigenschaften dieser göttlichen "Person" zu glauben, sie
für "wahr" zu halten. Für mich ist es jedoch nicht
verständlich, dass diese sehr leicht als zeitbedingte Produkte
menschlicher Fantasie zu durchschauenden Glaubensmeinungen, aus den
ersten Jahrhunderten unserer Zeitrechnung, vom organisierten
Christentum auch noch den Menschen des 21. Jahrhunderts als "Wahrheit"
angedient werden. Auch wenn sich zeitgenössische Theologen
hierbei höchst fantasievoller Interpretationen bedienen,
können sie nicht verhindern, dass ihnen immer weniger
Menschen zuhören und sich immer mehr
Menschen von den Kirchen verabschieden.
Die Trinität
– Dreieinigkeit Gottes?
Auch bei der Entwicklung des christlichen
Trinitäts-Dogmas, das 381 in Konstantinopel verabschiedet
wurde, standen aus anderen Religionen entlehnte Modellvorstellungen
Pate. In der altägyptischen Mythologie gab es z. B. die
Dreiheit aus den Gottheiten Osiris,
Isis und Horus.
Karlheinz Deschner (1924-2014) nennt
in seinem
Buch Der
gefälschte Glaube noch weitere Vorbilder:
"Das ganze erste Jahrhundert
kannte keine christliche Trinität. Wohl aber gab es eine
Fülle von Götterdreiheiten: die
Apis-Trinitätslehre und die Sarapis-Trinitätslehre,
die Trinität der Dionysosreligion, die kapitolinische Trias,
Jupiter, Juno, Minerva; es gab den dreimal großen Hermes, den
dreieinigen Weltgott, von dem man glaubte, er sei »allein
ganz und dreimal einer«, um aus der Vielzahl antiker
Trinitäten nur einige zu nennen."
Die Theologen geben wissentlich
oder unwissentlich vor, dass die christliche Ausprägung des
monotheistischen Gottesbildes in Form der sog. Trinität
schon im NT bezeugt sei. Dabei berufen sie sich gern auf den Missions-
bzw. Taufbefehl in Mt 28, 18-20, nach meiner Kenntnis wohl die einzige
Fundstelle im NT, in der die Begriffe Vater, Sohn
und Heiliger Geist gemeinsam auftauchen. Und
genau diese Stelle ist eine Fälschung (s. hier). Es gibt
noch eine andere Stelle, die im Zusammenhang mit der Trinität
manchmal herangezogen wird, und zwar im als echt
geltenden zweiten Brief des Paulus an die Korinther. In 2. Kor 13,13,
im letzten Vers dieses Briefes, steht die bekannte Segensformel:
»13 Die Gnade
unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft
des heiligen Geistes sei mit euch allen.«
Es findet sich jedenfalls in beiden
Texten keinerlei Hinweis auf die Beziehung der drei genannten
Denkfiguren zueinander. Ebenso wenig ist erkennbar, ob es sich um drei
"Personen" handelt. Daher ist nicht nachvollziehbar, wie daraus die
spätere "innere" Struktur des sog. "dreieinigen Gottes"
konstruiert werden konnte. Dennoch schreibt z. B. der Theologe Wolfgang
A. Bienert, dass
sich der christliche Gott "nach dem Zeugnis der Bibel in drei Personen (Hypostasen)
offenbart". Die intellektuelle Redlichkeit bleibt hier einmal mehr auf
der Strecke (s. auch Feststellung des Theologen Martin Werner
hier).
Der Philosoph Ludwig Feuerbach (1804-1872)
beschäftigte sich in seinem Buch Das Wesen des Christentums
ausführlich mit der Trinität. Seine Kritik ist an
Deutlichkeit kaum zu überbieten:
"Die Trinität ist der
Widerspruch von Polytheismus und Monotheismus, von Phantasie und
Vernunft, Einbildung und Wirklichkeit. Die Phantasie ist die Dreiheit,
die Vernunft die Einheit der Personen. Der Vernunft nach sind die Unterschiednen
nur Unterschiede, der Phantasie nach die Unterschiede
Unterschiedne, welche daher die Einheit
des göttlichen Wesens aufheben. Für die Vernunft sind
die göttlichen Personen Phantome, für die Einbildung
Wesen. Die Trinität macht dem Menschen die Zumutung, das
Gegenteil von dem zu denken, was man sich einbildet, und das Gegenteil
von dem sich einzubilden, was man denkt – Phantome als Wesen
zu denken. [... ]
So löst auch in dem
heiligen Mysterium der Trinität - inwiefern es
nämlich eine vom menschlichen Wesen unterschiedne Wahrheit
vorstellen soll – alles sich auf in Täuschungen,
Phantasmen, Widersprüche und Sophismen."
Wie zur
Vergottung Jesu (s. oben) hat die Theologin Uta Ranke-Heinemann (*1927) in
ihrem Buch Nein
und Amen auch zur Trinitätslehre Stellung
bezogen:
"Mit ihren
»drei Personen« des einen Gottes schufen sich die
Christen nie zu lösende Denkprobleme gegenüber dem
Monotheismus der Juden. Aber den Christen ist eine gedankliche
Unlösbarkeit und eine unlösbare Gedankenlosigkeit nur
Beweis ihres größeren Glaubens. Und evangelische und
katholische Theologen gleichermaßen haben alle Hände
voll zu tun, zu erklären, das der Begriff
»Personen« bei der Dreifaltigkeit nicht in dem
Sinne von »Personen« zu verstehen ist, wie ihn
jedermann sonst von »Personen« versteht. Dass an
einer Dreifaltigkeitslehre, die fast alle Menschen dahingehend
missverstehen, dass es sich doch um drei »Personen«
handelt, dass an einer solchen Lehre vielleicht etwas nicht stimmt,
dieses Zugeständnis wird man von den Theologen vergeblich
erwarten."
Die
Trinitätslehre – "religiöse Lyrik"?
Der Theologe Heinz-Werner
Kubitza vertritt in seinem erst
kürzlich erschienenen Buch Der
Jesuswahn eine Position, die das Fantasiegebilde Trinität
unzweideutig ad absurdum führt::
"Jesus kannte keine
Trinität, erst recht nicht mit ihm selbst als trinitarischer
Person. Die Ausbildung
der Trinitätslehre ist religiöse Lyrik,
erdichtet aus spekulativer Fantasie ebenso wie aus theologischer
Notwendigkeit. Die Gottesvorstellung Jesu war dagegen einfach und klar,
es war (und ist noch heute) die Vorstellung jedes frommen Juden, der
neben Gott keinen Platz für irgendwelche Nebenherrscher kennt,
mögen sie noch so dreieinig sein."
Anmerkung
Hervorhebung im
Zitat stammt vom Autor der Site.
Die
Trinität – "Antwort auf Marcion"?
Vor einigen Jahren nahm ich an einem Studientag in der evangelischen
Akademie Arnoldshain teil. Das Thema des Tages lautete
ungefähr "Christliche Trinität und jüdischer
Monotheismus". Ein emeritierter Heidelberger Theologieprofessor war
für den christlichen Part zuständig. Er vertrat u. a.
die These, dass die "Trinität eine Antwort auf Marcion"
gewesen sei. Marcion oder Markion
(um 85-160), ein Prominenter unter den ersten "Ketzern" der
Christenheit, hatte, sicher zum Verdruss der auf Wachstum bedachten
jungen Kirche, Mitte des 2. Jahrhunderts die "marcionitische" Kirche
gegründet – ein Konkurrenzunternehmen. Ein wichtiger
Teilaspekt seiner ebenso eigenen Theologie war ein
Gottesverständnis, das Ähnlichkeiten mit dem der Gnosis
aufwies.
Im Gottesverständnis bzw.
in den Glaubensfantasien Marcions gab es zwei Gottheiten: einen
"bösen Gott" und einen "guten Gott". Der böse Gott
war für ihn der im Alten Testament beschriebene
Schöpfer-Gott oder Gott des Gesetzes, auch als Demiurg
bezeichnet. Demgegenüber galt ihm als guter Gott der von Jesus
verkündete und im Neuen Testament beschriebene «Gott
der Liebe». Es handelte sich dabei nicht um eine
"Binität", wie man annehmen könnte, mit einem
entsprechenden wohl definierten Innenleben: Es gab zwischen den beiden
Gottheiten keinerlei Beziehung. Sie kannten sich nicht. Das ergab sich
auch schon daraus, dass Marcion das AT nicht anerkannte und daher keine
Wechselbeziehung bzw. Kontinuität zwischen dem AT und dem NT
konstruieren musste.
Der freundliche ältere
Theologieprofessor trug seine These mit größter
Selbstverständlichkeit vor. Es war nicht zu erkennen, ob er
sich der Tragweite seiner Äußerung bewusst war: Die
Trinität war also nicht etwa göttlicher Offenbarung
zu verdanken, wie es später die führenden
Köpfe der "Räubersynoden" des 4. und 5. Jahrhunderts
glauben machen wollten, sondern das Ergebnis einer nüchtern
kalkulierten Reaktion auf eine konkurrierende Glaubensmeinung. Die
"Antwort auf Marcion" war also ein typisches Produkt des
religiösen Marktes der Spätantike. Der freundliche
ältere Herr machte dennoch nicht den Eindruck, als
käme er je auf die Idee, nach der Relevanz dieses Produktes
für den religiösen Markt des 21. Jahrhunderts zu
fragen oder es gar grundsätzlich in Frage zu stellen.
Dogmen
– unbezweifelbare Wahrheiten?
Bei einigen Theologen fand ich Gedanken, die mir halfen, die
christlichen Dogmen als das zu sehen, was sie schon von allem Anfang an
waren, als Produkte menschlicher Fantasie, deren "Haltbarkeit",
aufgrund ihrer zeitbedingten Ausprägung,
naturgemäß nur von begrenzter Dauer sein konnte. Aus
heutiger Sicht ist ihr "Haltbarkeitsdatum" seit langem abgelaufen.
Der Theologe Klaus-Peter Jörns (*1939)
zeigt in seinem Buch Notwendige
Abschiede – Auf dem Weg zu einem glaubwürdigen
Christentum ganz nüchtern und klar, dass
Dogmen allenfalls relative, zeitbedingte "Wahrheiten" transportieren:
"Dogmen werden von
Offenbarungsreligionen mit dem Anspruch tradiert, absolute, in sich
geschlossene und daher unbezweifelbare Wahrheit zu sein. Sie verbreiten
den Anspruch, die ganze Wahrheit oder zumindest
die für Menschen erreichbare Wahrheit ganz
zu kennen. Die Einsicht, dass Dogmen zeitbedingte Antworten
auf zeitbedingte Fragen gegeben haben und daher notwendig
vorläufige Aussagen sind, passt in dieses Konzept
nicht. Denn es akzeptiert ja die geschichtlichen Bedingungen unserer
Wahrnehmung nicht."
In seinem Buch Abschied vom Christentum –
Ein Nichtchrist befragt die Religionswissenschaft
beschreibt der Theologe und Pädagoge Gustav Wyneken (1875-1964) einen
ursächlichen Zusammenhang zwischen dem problematischen
Verständnis des Menschen von seiner Religion und den daraus
erwachsenen Dogmen:
"Der tiefe
Widerwille, der auch schon das bloße Wort Dogma in uns
erweckt, ist also nur allzu berechtigt. […] Man muss sich
gegenwärtig halten, was Religion überhaupt ist,
nämlich dass sie sich nicht abspielt auf der Ebene der
Realität, sondern in einem Reich der Phantasie, dass sie das
große Spiel ist, dass das Leben der
Menschheit begleitet, eine »geistgeschaffene
Gegenwelt«, mit der der Mensch seine empirische Welt
überwölbt hat. Wir wissen freilich, dass der Mensch
nie imstande gewesen ist, seine beiden Welten, die
erfahrungsmäßige, ihm gegebene, und die selbst
geschaffene seines Gedankenspiels, scharf und sauber auseinander zu
halten. Das große Spiel Religion versucht immer wieder in die
Erfahrungswelt einzudringen und sich mit ihr zu vermischen. Und was
seiner Idee nach nur in der Sphäre des Spiels, sozusagen als
Spiel-Annahme und Spiel-Regel, Geltung hat, wird immer wieder
missverstanden als Erfahrungswahrheit neben anderen Erfahrungsdaten.
Das ist eben der Sündenfall des Dogmas, der dann furchtbare
Folgen nach sich gezogen hat, sowohl für den menschlichen
Intellekt wie für die menschliche Praxis."
Der ehemalige
katholische Priester Peter de Rosa (*1932) bezieht sich
in seinem Buch Der
Jesus-Mythos – Über die Krise des christlichen
Glaubens exemplarisch auf das erste Konzil von Nicäa
(325), auf dem zum allerersten Mal ein Dogma beschlossen und zur
verbindlichen "Glaubenswahrheit" erklärt wurde, und stellt
fest:
"In der griechischen
Welt, die wir geerbt haben, sind Dogmen nicht in erster Linie
religiös; sie sind der Überbau eines geistigen
Imperialismus. Ihr Hauptzweck ist nicht Wahrheit, sondern Ordnung,
Weltordnung. Sie zielen darauf ab, Neuerungen zu ersticken, alle
Traditionen außer einer zum Schweigen zu bringen, auch die
verschiedenen Traditionen, die es vor Nizäa im Neuen Testament
und auch in der Urkirche gab. Bezeichnenderweise endete Nizäa
mit dem Verbrennen abweichlerischer Bücher. Von nun an wurde
das Christentum von dem grausigen Gespenst der Häresie
heimgesucht. Dogmen gelten zwar allgemein als katholisch, doch in
Wahrheit sind sie sektiererisch. Ihre Funktion ist eine
einschüchternde: Ordnung schaffen, Optionen
einschränken, teilen und abschotten. Den Mächtigen
ist wichtig, dass Dogmen, gebildet von einer göttlichen
Institution, als endgültig akzeptiert werden –
nicht, dass sie verstanden werden."
Das
Zeitalter der Dogmenbildung – beherrscht vom "Geist der
Lüge"
Bei Martin Werner (1887-1964) fand ich
eine aufschlussreiche Bemerkung, in der er sich auf eine Feststellung
des bedeutenden protestantischen Theologen und Kirchenhistorikers Adolf von Harnack (1851-1930)
bezieht:
"Je entschiedener der
religiöse Materialismus des neuen
Erlösungsbedürfnisses (im Sinne des Begriffs der
»physischen« Erlösung) in Missachtung
tieferer Sinnfragen der menschlichen Existenz das Denken bestimmt,
desto mehr verliert dieses theologisch-kirchliche Denken in der
Behandlung seiner vielfach ohnehin falsch gestellten dogmatischen
Fragen die Orientierung an der Idee der Wahrhaftigkeit. Davon zeugt
ganz allgemein die Art und Weise, wie man
»schriftgemäße« Theologie zu
treiben vorgibt. Mit Recht ist in der neueren
Dogmengeschichtsschreibung gerade im Hinblick auf das Zeitalter der
folgenreichsten altkirchlichen Dogmenbildung aufmerksam gemacht worden
auf den »Geist der Lüge, welcher im 4. Jahrhundert
schon mächtig in der offiziellen Schriftstellerei sich regte
… und in dem 5. und 6. Jahrhundert die Kirche beherrscht
hat. In diesen Jahrhunderten hat keiner mehr irgendeiner schriftlichen
Urkunde, einem Aktenstück oder Protokoll getraut. Die Briefe
der Bischöfe dieser Zeit wimmeln von Anklagen auf
Fälschungen«."
In der geistigen Atmosphäre
des damaligen Christentums triumphierten offenbar Lüge und
Intrige über intellektuelle Redlichkeit und Wahrhaftigkeit.
Diese elementaren individual-ethischen Grundlagen menschlicher
Gemeinschaft waren weitgehend außer Kraft gesetzt.
Dogmen –
Instrumentalisierte Glaubensmeinungen
Schon ein flüchtiger Blick auf die
Dogmenentstehung vermittelt die Erkenntnis, dass es den
führenden Köpfen des frühen organisierten
Christentums nicht primär darum ging, eine lebensdienliche
Glaubenslehre zu erarbeiten, noch darum, ethische Verhaltensnormen
weiterzuentwickeln. Die in den vorausgehenden Kapiteln beschriebenen
Einzelheiten über die entscheidenden Konzilien lassen vielmehr
den Schluss zu, dass es in den z. T. brutalen Auseinandersetzungen
über unterschiedliche Glaubensmeinungen vornehmlich um den
Ausbau von Macht und Vorherrschaft ging.
Beispielhaft sei hier an zwei
maßgeblich beteiligte skrupellose Machtmenschen des 4. und 5.
Jahrhunderts erinnert, die beide als Gewaltverbrecher in die Geschichte
eingegangen sind: Der römische Kaiser Konstantin und Kyrill, Patriarch
von Alexandria.
Kaiser Konstantin
(um 272/85-337), von dem Voltaire
(1694-1778) sagte, er sei "ein politisch nicht unbegabter Krimineller"
gewesen, hatte auf dem ersten Konzil
von Nicäa (325) die Fäden gezogen und
schreckte ein Jahr später nicht davor zurück, seinen
Sohn Crispus aus erster Ehe und seine Frau Fausta sowie weitere
Verwandte ermorden zu lassen. Damit wird nur ein winziger Ausschnitt
aus seiner Karriere als "Krimineller" beleuchtet. – Dass die
römische und die orthodoxe Konfession Konstantin, "der
ungetauft bis knapp vor seinem Lebensende als Herrscher mit dem
Heidentum nie wirklich gebrochen hat" (Martin
Werner), als frühes Glied ihrer Kirchen sehen,
erscheint mir als sehr gewagt: Für die orthodoxe Konfession
ist Konstantin bis heute ein "Heiliger". Die römische
Konfession hat sich merkwürdigerweise nicht dazu durchringen
können ihn heilig zu sprechen, "dennoch wird ihm im
Namenstagskalender gedacht" (s. hier). Verhindert wurde seine
"förmliche Anerkennung als Heiliger durch die katholische Kirche"
nicht etwa durch die ihm zur Last gelegten, abscheulichen Verbrechen,
sondern durch die Tatsache, dass er kurz vor seinem Tod von Eusebius von Nikomedia (†341), einem Anhänger des Arianismus, getauft worden war, was ihn zum "Ketzer" machte.
Anmerkung
Auch ohne Konstantin ließe sich aus der Liste der "Heiligen"
der römischen Konfession problemlos eine umfangreiche
"Verbrecherkartei" erstellen. Ein aussichtsreicher Kandidat
für diese Kartei wäre ganz sicher Kyrill von
Alexandria (s. u.).
Kyrill
(um 375/80-444), Patriarch von Alexandria, ordnete im 5. Jahrhundert u.
a. die erste "Endlösung" an, der mehr als hunderttausend Juden
zum Opfer fielen (Karlheinz
Deschner), und er war mutmaßlich für die
grauenvolle Ermordung der Philosophin Hypatia
(370-415) verantwortlich. Kyrill beherrschte das Konzil
von Ephesos (431) und das entsprechende Geschehen danach bis
zu seinem Tod im Jahr 444. – Er wird von mehreren
Konfessionen als Heiliger verehrt. Die römische Konfession
ging noch weiter: Papst Leo XIII. ernannte ihn 1882 zum Kirchenlehrer
(s. hier).
Die konkurrierenden
Glaubensmeinungen – allesamt Fantasieprodukte theologischen
Denkens spätantik-hellenistischer Prägung –
waren nützliche Vehikel im Machtkampf zwischen den kirchlichen
Zentren bzw. theologischen Schulen in Alexandria, Antiochia,
Konstantinopel und Rom. Anders sind die zweifelhaften
Begleitumstände beim Zustandekommen der Beschlüsse
– die jeweiligen Kontrahenten arbeiteten mit Intrigen,
Erpressung, Bestechung, Verbannung, Gewalttätigkeiten etc.
– nicht zu erklären. Es kam nicht von
ungefähr, dass Carl Amery
(1922-2005) die entscheidenden Konzilien "die Räubersynoden
jener
Jahrzehnte" nannte, denn sie unterschieden sich im Ablauf wohl alle
nicht wesentlich von der mit dem Prädikat "Räuberversammlung"
ausgezeichneten Synode von Ephesos im Jahre 449.
Anmerkung
Sonderlich viel hat sich seit jenen Tagen offenbar
nicht geändert. Diese Erkenntnis drängt sich auf,
wenn man erfährt, dass es selbst heute in Teilen der
christlichen Kirchen und ihrer theologischen Fakultäten
Verhaltensweisen gibt, die den Theologen Friedrich Wilhelm Graf (*1948)
erst kürzlich dazu nötigten, sie als
"kirchenpolitischen Stellungskrieg und klerikalen Dschungelkampf" zu
beschreiben (s. hier).
Dogmen
– Rechtsgrundlage für die Verfolgung von
Häretikern
Die beschlossenen Dogmen bildeten den
Maßstab, an dem jede abweichende Glaubensmeinung gemessen
werden konnte, sie bekamen gewissermaßen den Status einer
"Rechtsgrundlage" für das kirchliche Vorgehen gegen alle
tatsächlichen oder vermeintlichen Häretiker.
Die sog. Verdammungsklausel am Ende des Nicänums ist
hierfür ein überzeugender Beleg (Zitat aus
Wikipedia):
"Diejenigen
aber, die da sagen »es gab eine Zeit, da er nicht
war« und »er war nicht, bevor er gezeugt
wurde«, und er sei aus dem Nichtseienden geworden, oder die
sagen, der Sohn Gottes stamme aus einer anderen Hypostase oder
Wesenheit, oder er sei geschaffen oder wandelbar oder
veränderbar, die verdammt die katholische Kirche. [richtig:
die belegt die katholische Kirche mit dem
Anathema]."
Die Dogmen ließen sich
umso leichter als Rechtsgrundlage benutzen, als die jeweiligen
Machthaber das Kirchenvolk glauben machten, die geltenden Dogmen seien
durch eine "göttliche" Institution beschlossen worden. Gottfried
Arnold (1666-1714)
kritisierte diese plumpe Irreführung schon im Zusammenhang mit
den Beschlüssen des ersten Konzils von Nicäa
(325) mit den Worten:
"… als wenn Gott selber
alles getan und geredet hätte, was das Konzil abfasste, wie
die Autoren sich nicht scheuen zu bekennen."
Anmerkung
Die
auf den Konzilien von Nicäa
(325) und Konstantinopel (381) beschlossenen
Glaubensbekenntnisse, das Nicänum und das Nicäno-Konstantinopolitanum,
haben in der kirchlichen bzw. gottesdienstlichen Praxis wohl lange Zeit
kaum eine Rolle gespielt. Diese Annahme lässt sich
insbesondere aus der Tatsache ableiten, dass diese Bekenntnisse
frühestens durch die Protokolle des Konzils von Chalcedon (451) bezeugt werden.
Die in Chalcedon beschlossenen Ergänzungen (das Chalcedonense) sind wohl ohnehin
nur von Theologen für Theologen verfasste Formeln. Bernd Moeller bezeichnet
sie als "merkwürdig unanschaulich und formalistisch".
Im protestantischen Bereich ist das Apostolische Glaubensbekenntnis
gebräuchlich, das auf eine ältere Tradition der
frühen Kirche zurückgeht. Seit 1970 gibt es eine ökumenische
Fassung von der "Arbeitsgemeinschaft für liturgische
Texte der Kirchen des deutschen Sprachgebietes".
Differenzierung
kontra Uniformierung
Der Altphilologe Wilhelm Nestle (1865-1959) stellt
in der Einleitung zu seinem 1947 erschienenen grundlegenden Werk Die Krisis des Christentums
fest: "Überall, wo Leben ist, physisches oder geistiges, ist
Differenzierung ..." Und er fährt fort mit einem Blick auf ihr
Gegenteil, die Uniformierung: Diese sei "gerade
im geistigen Leben bedenklich und gefährlich, weil sie das
individuelle Wachstum der Persönlichkeit unterbindet und so
Möglichkeiten der Entwicklung abschneidet, die sich daraus
ergeben können." Damit spricht er m. E., ohne es explizit zu
formulieren, die unausweichliche, negative Wirkung von Dogmen an.
Er betont darüber hinaus
die Einhaltung notwendiger Verhaltensregeln im Umgang mit den
Ergebnissen der Differenzierung, wie wir sie auch
und gerade im Bereich des Christentums vorfinden: "Nur muss bei der
Differenzierung der Auffassungen die Freiheit der geistigen
Auseinandersetzung gewahrt werden und darf es nicht dahin kommen, dass
die verschiedenen Richtungen sich gegenseitig verketzern und die
Achtung versagen."
Ich denke, die von Nestle
angemahnten Verhaltensregeln fanden, wie weiter oben deutlich wurde, im
Verlaufe der Geschichte des organisierten Christentums kaum jemals die
nötige Beachtung.
Dogma
oder Dogmatiker im heutigen Sprachgebrauch
Die Begriffe Dogma oder Dogmatiker
sind im heutigen Sprachgebrauch m. E. überwiegend negativ
besetzt. Die mitgedachte negative Bedeutung leitet sich für
viele Menschen zweifelsohne aus den historisch belegten Fehlleistungen
des Christentums ab. Für andere Zeitgenossen, bei denen diese
Erfahrungen fehlen, weil sie keine oder nur noch eine lose Beziehung
zum Christentum haben, ist das entsprechende Sprachempfinden wohl eher
durch die analogen Erfahrungen mit den historisch viel
jüngeren, rechts- oder linksgerichteten,
gewalttätigen Ideologien geprägt. Letztere
verhielten und verhalten sich, bei der Durchsetzung ihrer dogmatisch
geprägten Weltanschauungen, ganz ähnlich, wie es das
organisierte Christentum nahezu 2000 Jahre lang tat.
Wer jemand einen Dogmatiker
nennt, vermeidet damit wohl, ihn als "Betonkopf" zu bezeichnen, mit
jenem Sinnbild, das für Sturheit, für mangelnde
geistige Offenheit sowie für Selbstgerechtigkeit
und Intoleranz steht.
Schlussbemerkungen
Schon die hier
versuchte, eher bruchstückhafte, Beschreibung und kritische
Würdigung der Dogmenentwicklung fördert die
Gewissheit, dass die von den diversen christlichen Konfessionen noch
heute, etwa 16hundert Jahre nach ihrer Festlegung, aufrechterhaltenen
Dogmen für keinen halbwegs aufgeklärten Menschen von
irgendeiner Relevanz sein können.
Auf den entscheidenden, jeweils von
wenigen Machtmenschen dominierten, Konzilien des 4. und 5.
Jahrhunderts, auf jenen Zusammenkünften »gut oder
schlecht informierter Männer« (Peter de Rosa), wurden
Glaubensmeinungen in Dogmen gegossen, die die maßgeblichen
kirchlichen und/oder weltlichen Machthaber, aus leicht zu
durchschauenden Motiven, alsbald in den Rang "göttlicher
Wahrheiten" erhoben. Dass diese historische Tatsache die Theologen, von
seltenen Ausnahmen abgesehen, selbst heute immer noch nicht veranlasst,
kritische Fragen zu stellen und von ihren Kirchenoberen ein Umdenken zu
fordern, ist m. E. ein unentschuldbares Fehlverhalten – kurz:
ein Skandal!
Daher finde ich überzeugend
und ermutigend zugleich, was der slowakische evangelische Theologe Karol Nandrásky
(1927-2016) in einem Beitrag unter dem Titel Der
sich häutende Gott in Publik-Forum 8
· 2008 einleitend bekennt:
"Schon seit langem ist mir klar,
dass wir heraussteigen müssen aus der Rumpelkammer des
kirchlichen Dogmatismus. Wir müssen hineinfinden in den
konkreten und mühseligen Weg der Evolution des Weltalls, zu
dem die Naturforscher die Landkarte zeichneten."
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