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Aktuelles, Nachgetragenes, Satirisches 2015 – ...
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16. Mai 2021 <<<
28. November 2019 Missbrauchs-Katastrophe in der Una Sancta: kein Ende abzusehen Eine
Nachricht auf der ersten Seite meiner Tageszeitung (GROSS-GERAUER ECHO) vom 21. November 2019
trug die Überschrift "Altbischof entschuldigt sich – sexueller Missbrauch
im Bistum Limburg vertuscht". Der einleitende Satz des Artikels lautete:
"Zwei Männer, die lange Jahre die Geschicke des Bistums Limburg maßgeblich
bestimmt hatten, haben sich jetzt dafür entschuldigt, im Umgang mit sexuellem
Missbrauch schwerwiegende Fehler gemacht zu haben." Es handelt sich um den
ehemaligen Bischof Walter Kamphaus, der dieses Amt in Limburg von 1982 bis 2007
innehatte und um Prälat Helmut Wanka, einen langjährigen Personaldezernenten
des Bistums. Altbischof
Kamphaus hatte Mitte der 1980er Jahre einem Priester, der "wegen eines
Missbrauchsvorwurfs eine Geldbuße gezahlt hatte", eine Pfarrei im
Westerwald anvertraut. Nach erneuten Missbrauchs-Gerüchten versetzte er ihn
"in die Klinikseelsorge nach Frankfurt." Später war der einschlägig
vorbelastete Priester "im Erzbistum Bamberg eingesetzt und dort erneut
wegen Missbrauchs verurteilt worden." Kamphaus äußerte dazu immerhin,
"ohne seinen Fehler wäre Opfern Missbrauch erspart geblieben." Mit
der Benennung als "Fehler" relativiert Kamphaus sein unverzeihliches
Versagen allerdings in ganz unangemessener Weise. Fast
noch erschütternder finde ich das Eingeständnis des Prälaten Wanka, "in einem
anderen Fall, der ihm 1997 bekannt geworden war, keine »kompetente und fachlich
fundierte Einschätzung zum Thema sexueller Missbrauch und sexueller Gewalt«
gehabt zu haben." Hier zeigen sich m. E. exemplarisch nicht nur mangelndes
Verantwortungsbewusstsein, sondern insbesondere die ausgeprägte Weltfremdheit
führender Köpfe der Una Sancta in einem erschreckenden Ausmaß. Was
mich besonders erschüttert und auch wütend macht: Erst jetzt, Jahrzehnte(!) nach ihrem unverzeihlichen Fehlverhalten,
sahen sich diese geweihten Mitwisser und Vertuscher schließlich doch noch
genötigt, sich für "schwerwiegende Fehler" zu entschuldigen. Am Ende
des Zeitungsartikels wird deutlich, was wohl den letzten Anstoß dazu gab: "Das
Opfer", aus dem von Wanka erwähnten Fall, "hatte erst vor wenigen
Monaten öffentlich gemacht, was ihm widerfahren war." Was
kann man denn anderes von den hauptamtlichen Mitwissern und Vertuschern erwarten,
wenn man sich ins Gedächtnis ruft, was der ehemalige "Stellvertreter"
Joseph Aloisius Ratzinger alias Benedikt XVI. Vorbildliches von sich gab. Seine Äußerungen, im Zusammenhang mit
den diversen Missbrauchsfällen, ließen nicht erkennen, dass ihn das Schicksal
der vielen tausend Opfer weltweit berührte. Er konzentrierte sich vielmehr auf
die Frage nach den Schuldigen. Dabei suchte er sie nicht etwa im Inneren seiner
Una Sancta, sondern irgendwo da draußen … In 2011 identifizierte er zunächst den
Teufel als den Hauptschuldigen, der ihm
und seinen Priestern "Schmutz ins Gesicht geworfen" habe (mehr s.
hier). Im
April 2019 hatte der Ex-Pontifex dann eine weitere Eingebung: Nun waren es die
1968er! In einem Aufsatz machte er seine kuriosen Überlegungen dazu öffentlich: "Ich versuche zu zeigen, daß in den 60er
Jahren ein ungeheuerlicher Vorgang geschehen ist, wie es ihn in dieser
Größenordnung in der Geschichte wohl kaum je gegeben hat. Man kann sagen, daß
in den 20 Jahren von 1960 – 1980 die bisher geltenden Maßstäbe in Fragen
Sexualität vollkommen weggebrochen sind und eine Normlosigkeit entstanden ist,
die man inzwischen abzufangen sich gemüht hat." (mehr s. hier) Damit wurde endgültig klar:
Aloisius Ratzinger denkt nicht im Entferntesten daran, in den autoritären
Machtstrukturen, im unsinnigen Zölibat sowie in den abstrusen Lehr- und Denk-Gewohnheiten
seiner Una Sancta nach den eigentlichen
Ursachen bzw. Schuldigen zu suchen. – Und auch sein Nachfolger vermittelt mir
nicht den Eindruck, als wollte er den vorhandenen "Augiasstall"
nachhaltig "ausmisten" … Fast
so etwas wie eine Bestätigung meiner Einschätzung fand ich, am 23. November
2019, im Internet: Dort las ich u. a. die Schlagzeile "Wegen
Missbrauchsvorwürfen gegen Direktor – UN beendet Zusammenarbeit mit Caritas in
Zentralafrika." Der inzwischen abberufene Landesdirektor der Caritas in
der Zentralafrikanischen Republik, ein belgischer Priester, war in "2012
wegen des Besitzes von Kinderpornografie und Missbrauchs zweier Schüler von
einem Gericht im belgischen Gent verurteilt worden. […] 2013 wurde er dem
Bericht zufolge in die Zentralafrikanischen Republik entsandt, wo er in einem
Flüchtlingslager mindestens zwei Jungen missbraucht haben soll." (s. z. B.
hier und hier) Man
muss kein Prophet sein, um, mit Blick auf die "unendliche" Geschichte
sexuellen Missbrauchs im Herrschaftsbereich der Una Sancta, folgende
Vorhersage treffen zu können: Fortsetzung folgt … Abschließend sei – fairerweise – erwähnt, dass die deutsche Filiale der Una Sancta immerhin einen ersten Versuch gestartet hat, über mögliche Gegenmaßnahmen nachzudenken: Am 17. September 2019 eröffnete sie im rheinland-pfälzischen Lantershofen das Institut für Prävention und Aufarbeitung (IPA) von sexualisierter Gewalt. (mehr s. hier)
Darunter
war u. a. Folgendes zu lesen:
"Papst
Franziskus hat das sogenannte "päpstliche Geheimnis" im Fall von
Missbrauch durch Priester aufgehoben. […] Die Maßnahme führt dazu, dass
Aussagen in Kirchenprozessen auch an zivile Behörden gehen. […] Darüber hinaus
verfügte Franziskus, dass ab sofort der
Besitz und die Verbreitung kinderpornografischen
Materials mit Opfern bis zu 18 Jahren zu den schwersten
Straftatbeständen zählt. […] Die spezifische
kirchliche Geheimhaltungspflicht hatte in Missbrauchsprozessen regelmäßig zu
Vertuschungen und Strafvereitelung gegenüber der weltlichen Justiz geführt."
21. März 2019 "Gottes missbrauchte Dienerinnen" – Opfer geweihter Vergewaltiger Am 05. März 2019, um 20:15 Uhr, sah ich beim Kultursender arte den französischen Dokumentarfilm "Gottes missbrauchte Dienerinnen" von 2017. Der Film ist das Ergebnis einer zweijährigen Recherche-Arbeit. – Meine Empfindungen während der Sendung schwankten zwischen Fassungslosigkeit und Wut. – Vor wenigen Tagen habe ich mir den Film in der arte-Mediathek nochmals angeschaut. Um es vorwegzunehmen: Es handelt sich um die Enthüllung eines "der bestverschleierten Skandale der katholischen Kirche", um eine weitere erschütternde Dokumentation ungesühnter Sexual-Verbrechen im Herrschaftsbereich der unheiligen Una Sancta. Die Dokumentation zeigt auf, dass Ordensfrauen/Nonnen weltweit – "auf allen Kontinenten" – von "Priestern und Würdenträgern bis in den Vatikan hinauf" regelmäßig sexuell missbraucht wurden und m. E., mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, vermutlich auch gerade in diesem Augenblick, weiterhin missbraucht werden. Durch die Aussagen missbrauchter (ehemaliger) Nonnen erfuhr
ich erstmals: Ordensfrauen, die in Folge der priesterlichen Verbrechen
schwanger werden, "droht der Verstoß aus ihren Gemeinschaften oder sie
werden zur Abtreibung gezwungen". Eine ehemalige Nonne aus Westafrika
berichtet, dass in einem westafrikanischen Orden von 50 Ordensfrauen 32
abgetrieben hatten! – Der derzeitige Papst Franziskus hat Abtreibung vor
einiger Zeit als "Auftragsmord" scharf verurteilt – eine kaum zu
überbietende Heuchelei! Im Film wird u. a. vom "mafiösen Verhalten des
afrikanischen Klerus" gesprochen, der offensichtlich wegschaut und die
Tatsache vertuscht, dass Ordens-Oberinnen die ihr anvertrauten Nonnen, ja schon
Novizinnen, als "Sexsklavinnen" an Priester verkaufen, sie gewissermaßen
regelmäßig "vermarkten" – kirchlich sanktionierte Prostitution! Der
wesentliche Grund: Insbesondere in
Aids-verseuchten Gebieten Afrikas missbrauchen Priester bevorzugt Nonnen (die wohl
meist nicht infiziert sind), weil sie den Verkehr mit Aids-kranken
Prostituierten scheuen. Was ich besonders bestürzend finde: Alle Opferberichte
enthüllen den unbarmherzigen, ja gnadenlosen Umgang der Verantwortlichen in der
Kirche mit den traumatisierten Opfern. Sie enthüllen ein kaum zu überbietendes Maß
an Gefühlskälte und Unmenschlichkeit in einer Institution, die vorgibt, den
Menschen, im Auftrage Gottes, das Heil zu bringen. Einmal mehr zeigt die Dokumentation auf, dass die in
der römisch-katholischen Kirche, strukturell und ideologisch, vorherrschende Unkultur die Ursache der enthüllten Verbrechen
ist. Oder anders ausgedrückt: Hierarchisches Denken und Handeln, die
Ungleichbehandlung der Geschlechter und die negativen Wirkungen einer
infantilen fundamentalistischen, auf 245 abstrusen Dogmen – der Zölibat gehört
übrigens nicht dazu – basierenden Glaubenslehre verhindern massiv, sowohl bei
den Opfern als auch bei den "geweihten" Triebtätern, die Entwicklung einer
selbstbestimmten reifen Persönlichkeit und geistiger Unabhängigkeit. Einige Zitate aus den Opferberichten und aus Beiträgen
anderer Gesprächspartner sowie aus gesprochenen Zusatzinformationen lassen den
Grad mentaler Verwirrtheit von Ordensschwestern erahnen, die in ihren Orden
permanent einer skurrilen bis grotesken oder kurz: einer perfiden
Indoktrination ausgesetzt sind, einer Indoktrination, die allein dem
Machterhalt des Kleriker-Clans dient: Nach dem Vorspann des Films wird u. a. die ehemalige
deutsche Nonne Doris Wagner (verh. Reisinger) vorgestellt. Sie wurde als
Ordensfrau in Rom sexuell missbraucht. Im Begleit-Kommentar wird von ihr
gesagt, dass sie mit 22 Jahren Gott "heiratete" und das "ewige
Gelübde" ablegte, mit dem sie sich zu "Gehorsam, Armut,
Keuschheit" verpflichtete … Ordensschwestern werden zu absolutem
"Gehorsam gegenüber Gott und seinen irdischen Stellvertretern, den
Priestern", erzogen … Ein
geweihter Priester gilt als "heiliger Mann" … (eine bewusst geförderte(?) groteske Überhöhung) … Eine
"brave Nonne" wagt es nicht, sich einem Priester zu widersetzen … Ein
"geistlicher Beistand" gab im Gespräch mit einer Nonne vor, ihr durch
seine sexuellen Handlungen, als "kleines Werkzeug Jesu die Liebe Jesu
spüren" zu lassen und sie damit Gott näher zu bringen … Ein
Priester redete seinen Opfern ein, dass der Sex mit ihm zur
"Heilsökonomie" gehöre … (diese
Wortwahl ist in ihrer Absurdität und in ihrem Zynismus wohl kaum zu
überbieten!) … Bezeichnend
für das unverantwortliche Verhalten der obersten Führung der katholischen
Kirche war der vor wenigen Wochen vom Vatikan inszenierte Missbrauchsgipfel,
bei dem es, erstmals in diesem Format, um den von Klerikern weltweit verübten
sexuellen Missbrauch von Kindern ging. Es kam nach mehrtägigen Sitzungen nichts
wirklich Greifbares heraus: weder konkrete Präventionsmaßnahmen noch
verbindliche Vorgaben für einen respektvollen Umgang mit den Opfern und deren
angemessene Entschädigung. Es war, wie so oft im Vatikan, ein eher belangloses Kostümfest,
bei dem die Teilnehmer, in wechselnden farbigen Roben, kaum am Thema
interessiert, mehr oder weniger missmutig zusammensaßen und die Zeit
totschlugen. Ein mögliches
Gipfeltreffen zum Thema "Gottes missbrauchte Dienerinnen"
würde vermutlich ebenso unproduktiv verlaufen. Mein Fazit Es
wäre geradezu revolutionär, wenn Politiker aller Parteien in
Deutschland
aufwachten und endlich darangingen, die diversen Privilegien der
Kirche(n) zu
streichen und, vor allem, endlich dem staatlichen Recht auch im
Herrschaftsbereich der Kirche(n) uneingeschränkte Geltung zu
verschaffen. Da die aufgedeckten Skandale Züge organisierter
Kriminalität zeigen, hielte
ich es für durchaus gerechtfertigt, insbesondere der Katholischen
Kirche
gegenüber, Methoden anzuwenden, die seit kurzem im Zuge der
Bekämpfung der
Clan-Kriminalität angewandt werden: z. B. Beschlagnahme von
Immobilien aus dem milliardenschweren
Immobilienbesitz der katholischen Kirche, um mit den Erlösen einen
Fonds zu
schaffen, der eine angemessene Entschädigung der traumatisierten
Opfer ermöglichte. Anmerkung
08. August 2018 Religionen – schillernde Blüten im bunten Strauß der Ideologien? In
einem Büchlein mit dem Titel Wenn das
Herz denken könnte …, in dem Sätze,
Reflexionen, Betrachtungen und Prosastücke des portugiesischen
Schriftstellers Fernando Pessoa
(1888-1935) zusammengefasst sind, stieß ich auf folgenden Satz (S. 83): "Der
Katholizismus ist der am besten organisierte Christismus, da er von allen Christismen
der heidnischste ist." Anmerkung Die im
Zitat enthaltene kritische Würdigung des Katholizismus ist für meine weitere
Betrachtung unerheblich. Mich interessieren hier ausschließlich die Begriffe
"Christismus" und "Christismen". Diese habe ich im zitierten
Satz Pessoas zum ersten Mal bewusst
wahrgenommen. Warum diese ungewöhnliche Formulierung
wählte, ist mir nicht bekannt. Ich kann mir jedoch vorstellen, dass er mit diesen
Begriffen deutlich zum Ausdruck bringen wollte, dass er die christliche
Religion, in ihren verschiedenen Ausprägungen – und vielleicht auch alle
anderen Religionen mit deren Varianten –, dem breiten Spektrum der Ideologien zurechnete. Christen
halten ihre Religion für etwas Einzigartiges, Erhabenes, Heiliges, für etwas,
das, wie sie glauben, auserwählten Vorfahren vom "eingeborenen Sohn
Gottes" geoffenbart worden sei. Wollte Pessoa diese Religion mit seiner Begriffswahl schlicht auf ihr Normalmaß
zurechtstutzen? Zweifellos ist der Begriff Ideologie, schaut man in die Geschichte der letzten zweihundert Jahre, in Form diverser "Ismen" arg in Verruf geraten: Marxismus, Kommunismus, Faschismus, Maoismus, Rassismus, Antisemitismus seien hier exemplarisch genannt … Geht man in der Geschichte etwas weiter zurück, so kann man leicht feststellen, dass auch das Christentum und andere Religionen, ihren Ruf auf geradezu unfassbare Weise ruinierten. Dem Christentum kann man allerdings zugutehalten, dass in ihm, unter dem Einfluss der Aufklärung, eine positive Entwicklung einsetzte. Dazu hat sich m. E. Albert Schweitzer (1875-1965) einschlägig geäußert (s. hier / rechte Spalte). Ich
bin weder Kultur- noch Sprachwissenschaftler, dennoch wage ich den Versuch einer
Definition: Religionen sind Ideologien, deren Anhänger, im Rahmen spezifischer
Weltanschauungen, spezifische (Glaubens-)Meinungen vertreten. Zentrale
Glaubensgrundlagen bilden dabei, mehr oder weniger konkrete, Vorstellungen von überweltlichen
Gottheiten oder Mächten, die die Geschicke ihrer "Gläubigen"
bestimmen und lenken. Bei
der landläufigen begrifflichen Abgrenzung zwischen Ideologie und Religion wird
häufig eine weitere wichtige Gemeinsamkeit übersehen: Die von Konzilien,
Zentralkomitees oder anderen Gremien beschlossenen absoluten "Glaubenswahrheiten"
bzw. Dogmen. Dieses gemeinsame charakteristische Merkmal von Religion(en) und Ideologie(n) ist in jeder Gesellschaft Ausgangspunkt einer realen Bedrohung für alle Bestrebungen vernunftgeleiteten Handelns. Der amerikanische Philosoph und Schriftsteller Sam Harris (*1967) hat sich dazu in seinem Buch Brief an ein christliches Land ganz unmissverständlich positioniert:
Anmerkung
02. April 2018 "Völlig falsche Interpretation der Welt" Vor
kurzem habe ich den in 2017 erschienenen, vom britischen Autor Edward Docx (*1972)
verfassten, Roman "Am Ende der
Reise" gelesen. Es ist m. E. ein lesenswertes Buch. Es
geht darin um einen Mann, der "in den letzten Stunden von Churchills
Kriegsregierung", also im Juli 1945, geboren wurde, es in seiner beruflich
aktiven Zeit bis zum "Dekan der Fakultät für englische Literatur am
University College in London" gebracht hatte und sich nun auf seine letzte
Reise begeben hat. Das bestimmende
Thema des Buches ist der Umstand, dass der Mann an ALS im Spätstadium leidet
und beschlossen hat, in die Schweiz zu gehen, um dort Sterbehilfe in Anspruch
zu nehmen. Der
Verlauf der Reise wird aus der Sicht seines jüngsten Sohnes Louis geschildert. Louis
stammt aus der zweiten Ehe des Mannes. Louis' Mutter ist schon vor Jahren
gestorben. Edward Docx macht Louis bzw. "Lou" zum Ich-Erzähler. Da
sich "Dad" von seinem Vorhaben nicht abhalten lässt, jedoch das
Fliegen scheut, erklärt sich "Lou" bereit, ihn in dessen uraltem
VW-Campingbus nach Zürich zu fahren. Unterwegs durch Frankreich stoßen nacheinander
die deutlich älteren Söhne des Mannes aus dessen erster Ehe hinzu. Es sind die
Zwillinge Ralph und Jack. Während
der gemeinsamen Fahrt führen die Reisenden lange intensive Gespräche, wie kaum
je zuvor. Unter anderem kommt es zu einer schonungslosen Abrechnung der
Zwillinge mit ihrem "Dad", wegen dessen unrühmlichen Verhaltens vor der
Trennung von seiner ersten Frau, ihrer Mutter. Und
sie besuchen darüber hinaus gemeinsam Sehenswürdigkeiten, die "Dad"
schon kannte und noch ein letztes Mal sehen wollte (Kathedrale von Troyes) oder
die er immer schon einmal besuchen wollte (eine Höhle mit Wandmalereien aus dem
Aurignacien). Ich
bin beim Lesen – die Protagonisten befanden sich gerade vor dem Altar der
berühmten Kathedrale von Troyes – auf folgenden bemerkenswerten Gedanken
gestoßen, den Docx dem Ich-Erzähler eingibt: "Diese
Kathedrale steht für die größtmögliche menschliche Anstrengung, Ewigkeit zu
vermitteln, etwas Grandioses, Monumentales, etwas, das Ehrfurcht gebietet, und
basiert doch gleichzeitig auf einer völlig falschen Interpretation der Welt." Ich
finde, dass hiermit das zentrale Dilemma des Christentums, wie auch
aller anderen großen Religionen, sehr eindrucksvoll beschrieben wird. Anmerkung
09. Januar 2018 Gedankensplitter zum "Problem der Gerechtigkeit" In
unregelmäßigen Abständen erhalte ich Rückmeldungen von Leserinnen und Lesern
dieser Website. Vor einigen Wochen schrieb mir ein Leser, dass er etwa gleichen
Alters sei wie ich, und dass er den meisten Inhalten auf meiner Site zustimmen
könne. Er betonte jedoch, dass er ein wichtiges Thema vermisse. Der Kernsatz seiner Kritik lautete: "Ein Problem hat der atheistische Humanismus nie gelöst: Wie
verschafft er den verstorbenen Menschen, deren Leben zu kurz oder ein Quälerei
war, wieder Gerechtigkeit?"
Er
forderte mich am Ende auf, ihm meine "Meinung zum
Problem der Gerechtigkeit für die unschuldig Zukurzgekommenen oder im Namen
einer Ideologie zu Tode Gefolterten oder den von heimtückischen Krankheiten
dahingerafften Menschen" mitzuteilen. Eine der einfachsten und kürzesten möglichen
Antworten auf die Frage des Lesers wäre wohl diese gewesen: Niemand kann "verstorbenen
Menschen" eine, wie auch immer geartete, "Gerechtigkeit" zuteilwerden
lassen. Dies gilt selbstverständlich auch für "atheistische" bzw.
säkulare Humanisten, in deren Einflussbereich es, im Bedarfsfall, um (soziale)
Gerechtigkeit in der realen Welt geht
– um irdische Gerechtigkeit also.
Alle darüber hinausgehenden Überlegungen müssen zwangsläufig in vagen Spekulationen
und/oder religiösen Fantasien enden … Meine Antwort, die ich dem Leser per
E-Mail zuschickte, umfasste schließlich folgende Gedankensplitter: Wir
leben in einem Universum, das schon über 9 Milliarden Jahre alt war, als vor
ca. 4,6 Milliarden Jahren unsere Erde entstand. Etwa 1 Milliarde Jahre später entwickelten
sich auf ihrer Oberfläche erste einfache Lebensformen. Sie waren das Ergebnis
eines Zusammenspiels von unbelebter Materie mit physikalisch-chemischen
Vorgängen in der Uratmosphäre und im Urmeer. Im Zuge der Evolution entwickelten
sich dann unzählige, immer komplexer strukturierte, Lebewesen. Und erst vor etwa
2 - 3 Millionen Jahren, also einige Milliarden Jahre nach dem Beginn des
Lebens, erschien der Urahn des heutigen Menschen. Der
Mensch ist also ein Lebewesen unter unendlich vielen anderen Lebewesen auf
unserem Planeten. Ein großer Teil seines Genoms ist identisch mit dem der
anderen. Alle Lebewesen atmen dieselbe Luft und sind u. a. von unberechenbaren
Naturgewalten in gleicher Weise bedroht. Die Natur macht in dieser Beziehung
keinen Unterschied zwischen den Arten. Der wesentliche
Unterschied zwischen ihnen besteht darin, dass der Mensch, als das wohl komplexeste
Zwischenergebnis der weiter fortschreitenden biologischen Evolution, aufgrund seiner Gehirnstruktur in der Lage war,
neben einem Prozess der soziokulturellen
Evolution auch einen Prozess der wissenschaftlich-technischen
Evolution in Gang zu setzen. Es
gibt natürlich auch noch andere Unterschiede: Während z. B. Gazellen und Gnus,
nach wie vor, von Löwen oder Geparden gejagt und getötet werden, sterben
Menschen eher durch Verkehrsunfälle oder Flugzeugabstürze … Alle
Lebewesen sind sterblich. Sie sterben eines natürlichen Todes, individuell
unterschiedlich, früher oder später an Altersschwäche. Oder sie werden Opfer
von Krankheiten, Unfällen, Naturkatastrophen. Oder sie werden unschuldige Opfer
von Terrorakten und anderen Tötungsdelikten, Opfer kriegerischer
Auseinandersetzungen oder ethnischer Säuberungen etc. etc. Vieles
davon betrachten wir zu Recht als ungerecht. War es etwa gerecht, dass z. B. vor
ca. 65 Mio. Jahren die Saurier Opfer eines Asteroiden-Einschlags wurden und in
der Folge von der Erde verschwanden? – War das Massaker von Srebrenica für die
unschuldigen Opfer gerecht? – Ganz spontan: Nein! Was wäre dann aber gerecht? Wäre
es vielleicht gerecht(er), wenn alle dasselbe ungerechte Schicksal erlitten …? "Ein
ungerechtes Schicksal wird dem Menschen gleichsam schon in die Wiege gelegt, es
ist geradezu a priori gegeben." "Man muss die absurde dogmatische Erklärung abweisen, die in das natürliche Geschehen – als Prinzip der Auslegung der Natur – Gedanken von »Strafe« und »Gerechtigkeit« einträgt. Die Gesetze, die im Naturgeschehen herrschen, »prämieren nicht« und »bestrafen nicht«. Sie sind weder »moralisch« noch »unmoralisch«." Es ist
ganz offensichtlich, dass "Gerechtigkeit" eine Kategorie ist, die in
den diversen Abläufen der Natur überhaupt nicht vorkommt. Sie ist vielmehr, im
Rahmen menschlichen Zusammenlebens, "als
Norm und Praxis des Verhaltens im Verlaufe der natur- und kulturgeschichtlichen
Entwicklung ausgebildet worden" (Helmut
Groos, mehr s. hier). Es
gibt natürlich auch eine andere Sicht: Manche glauben, dass es einen gnädigen, gerechten und liebenden Gott gibt, der
zwar in seinem Tun oder Lassen ganz unberechenbar bzw. unbegreiflich sei, der
aber schließlich doch, zumindest "im Himmel", für (ausgleichende)
Gerechtigkeit sorgen würde – m. E. eine menschlichem Wunschdenken entsprungene
illusionäre Vorstellung. Kann
es denn sein, dass der vermeintliche Weltenlenker erst vor ca. 2000 Jahren auf die
Idee kam, einen »Erlöser« auf die Erde zu schicken – angeblich seinen eigenen
Sohn(!) – mit der Maßgabe einige "Auserwählte" zu retten, nämlich nur
diejenigen, die u. a. den im fragwürdigen Johannesevangelium enthaltenen
Erlöserworten vertrauten (s. Kap. 5, Vers 24): »Wer mein Wort hört und glaubt dem, der mich gesandt hat, der hat das
ewige Leben und kommt nicht in das Gericht, sondern er ist vom Tode zum Leben
hindurchgedrungen.«? Hatte
der Schöpfer etwa erst vor 2000 Jahren die Unzulänglichkeiten seiner Schöpfung
entdeckt? War er vorher, etwa durch ähnliche oder noch größere Probleme auf
unendlich vielen anderen Baustellen im Universum, vom Geschehen auf der Erde
abgelenkt worden? Hatte er vielleicht sogar erwogen, bevor er seinen Sohn auf
die Reise schickte, die Verhältnisse von Grund auf zu ändern bzw. zu verbessern
und sich dann doch anders entschieden? – Fragen über Fragen … … … Auf
jeden Fall gab der Vater dem Sohn noch eine Botschaft an alle "Zukurzgekommenen"
auf der Erde mit: Alle die dort unverschuldet Leid erdulden müssten aber fest
an ihn glaubten, sollten sich in Geduld üben, denn im Jenseits würden sie
großzügig entschädigt werden und zwar bis in alle Ewigkeit … – All das sagte
der vermeintliche »Erlöser« nicht etwa zu allen
Menschen auf diesem Planeten, sondern nur zu einem kleinen Volk in Palästina,
das eben diesen allmächtigen Schöpfer-Gott wohl aus einem ehemaligen Berggott
entwickelt hatte. Ich
gehe davon aus, dass der wesentliche Sinn des Lebens das Leben selbst ist. Und ich
gehe auch davon aus, dass wir nur dieses einzige Leben haben. Daher liegt es
allein in unserer Verantwortung, was wir daraus machen. Die Evolution hat uns
mit dem ausgestattet, was religiös geprägte Menschen Nächstenliebe nennen, was
ich eher als Empathie bezeichne. Diese Eigenschaft besitzen zumindest alle Menschen,
bei denen sie nicht durch ungünstige Sozialisationsbedingungen, in ihrer frühen
Kindheit und Jugend, verkümmerte
oder gar verloren ging. Alle,
die diese Fähigkeit besitzen, haben ein offenes Auge für (soziale) Ungerechtigkeit,
der andere Menschen ausgesetzt sind. Sie besitzen Einsichtsfähigkeit und fühlen
sich verantwortlich dafür, Leid zu mindern – nicht nur bezogen auf ihre
Nächsten und ihren engeren Umkreis, sondern, wenn möglich, auch jenseits davon –
und sich für mehr (soziale) Gerechtigkeit in der Gesellschaft einzusetzen und
zwar im Hier und Jetzt! Anmerkung
08. Dezember 2017 "Verbrechen, die nicht ungesühnt bleiben dürfen" Bei
einer Internet-Recherche stieß ich, schon vor einiger Zeit, auf ein Buch des Autors Gerhard
Birk (*1938) mit dem Titel Verbrechen,
die nicht ungesühnt bleiben dürfen. In einer Leseprobe dieses Romans stieß
ich dabei, auf Seite 191, auf meinen Namen und auf den Titel meiner Christentums-kritischen
Website. Ich freute mich natürlich darüber, war aber sehr überrascht: Ich hatte
meine Website Ende August 2013 für das Internet freigeschaltet und das hier
angesprochene Buch wurde Anfang Dezember 2013 veröffentlicht … Schon im Untertitel des Buches wird deutlich, worum es geht: Der Leidensweg eines Missbrauchsopfers. Das darin anklingende Thema markiert die Schnittmenge mit einigen Beiträgen auf meiner Website: Ich hatte mich unter Aktuelles, Nachgetragenes, Satirisches in 2010 (s. hier) u. a. zu den damals aktuellen Missbrauchsskandalen in der katholischen Kirche geäußert. Im Buch wird an einer Stelle beschrieben, wie der Protagonist Fabian, während seines Studiums, zusammen mit einem Kommilitonen im Internet zum Thema "sexueller Missbrauch in der katholischen Kirche" recherchierte und u. a. auf meiner Website fündig wurde. Ich habe mir das Buch gekauft und konnte, zuletzt vor wenigen Monaten, im Zusammenhang mit der Berichterstattung über den Missbrauchsskandal bei den "Regensburger Domspatzen", feststellen, dass der beschriebene "Leidensweg eines Missbrauchsopfers" nichts von seiner Aktualität verloren hat. Mit diesem Buch in Romanform gelingt es dem Autor, die Leiden der Hauptfigur Fabian, die in der Kindheit von einem katholischen Priester mehrfach auf üble Weise missbraucht worden war, facettenreicher und eindringlicher zu beschreiben, als dies eine nüchterne Dokumentation je leisten könnte. Man spürt, dass die betrachtete Thematik seriös und intensiv recherchiert worden ist. Es ist m. E. ein sehr lesenswertes Buch, das eine weite Verbreitung verdient.
07. Dezember 2017 Altrömische Erfindung – von nachhaltigem Nutzen für das organisierte Christentum? Vor
einigen Jahren beschäftigte ich mich eine Zeit lang sehr intensiv mit der
Entstehungs- und Überlieferungsgeschichte der neutestamentlichen Schriften (s. hier). Danach war ich gründlich
desillusioniert. Für mich hatten diese Schriften, aufgrund der äußerst
dürftigen Quellenlage einerseits und andererseits aufgrund der unzähligen
Änderungen und Ergänzungen kurz: aufgrund unzähliger Fälschungen während nahezu
der gesamten Geschichte des Christentums, jegliche Glaubwürdigkeit verloren.
Auf diesem Hintergrund war es für mich unfassbar, dass das organisierte
Christentum die Inhalte dieser auf fragwürdige Weise entstandenen und auf noch
fragwürdigere Weise überlieferten Texte, nach wie vor und unbeirrt, als
"Glaubenswahrheiten" verkündete. Mein
Interesse an dieser Thematik erlosch damals weitestgehend. Durch zwei aktuelle
Bücher des Autors Roland Weber (*1948) wurde
es, mehr oder weniger zufällig, neu entfacht. Im
Buch DENKEN STATT GLAUBEN vertritt der
Autor eine These über die Verfasser der neutestamentlichen Schriften,
insbesondere der Evangelien, die zu einer ganz neuen Vorstellung von der
Entstehung und Verbreitung des Christentums führen könnte. Roland Weber (*1948) geht in seiner Argumentation von Überlegungen aus, die der amerikanische Autor Joseph Atwill in seinem Buch Das Messias-Rätsel – die Geheimsache Jesus veröffentlicht hatte: Die Evangelien seien in Rom, in enger Verbindung zum Hof des Kaisers Titus, unter Federführung des zu den Römern übergelaufenen ehemaligen jüdischen Rebellen Flavius Josephus (37/38 – nach 100) entstanden: "als zweckgerichtete Erfindungen zur Befriedung der aufrührerischen Juden" (S. 204). – Der Gedanke an psychologische Kriegsführung der Römer drängt sich auf … Vom
Historiker Flavius Josephus stammen u. a. die Werke Jüdische Altertümer und Der
jüdische Krieg. Atwill war auf Ähnlichkeiten zwischen den Inhalten der
Evangelien und jenen dieser historischen Werke gestoßen. Roland
Weber setzt die Arbeit Atwills fort, indem er sehr akribisch Spurensuche in den
Evangelien und anderen Schriften betreibt, um die Ausgangsidee Atwills noch
überzeugender zu begründen. U. a. weist er auf die hervorstechende Rom-Freundlichkeit
der Evangelien hin. Es
spricht für die intellektuelle Redlichkeit des Autors, dass er für seine Thesen
keine absolute Sicherheit beansprucht: Schon am Anfang seines Buches führt er
unmissverständlich aus, dass er beabsichtige, "aufzudecken, wie das
Christentum mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit entstanden ist" (S. 19). In seinem neueren, erst kürzlich erschienenen, Werk Jesus, Römer, Christentum vertieft der Autor jene
Überlegungen zur Entstehung des Christentums, die er mit seinem vorausgegangenen
Buch vorgestellt hatte. Hier sucht er intensiv nach der Begründung für seine
"steile" These. Er zeigt auf, dass wahrscheinlich die drei sog.
synoptischen Evangelien (Markus, Matthäus, Lukas) und die sog.
Apostelgeschichte zu den Schöpfungen dieser römischen "Schreibstube",
wie er sie nennt, gehören. Nach seiner Auffassung handelte es sich um
antijüdische Propagandaschriften, die den Juden u. a. das Scheitern ihres
Messias vor Augen führen sollten. Er
weist auch darauf hin, dass der vom organisierten Christentum hochverehrte
Paulus, aller Wahrscheinlichkeit nach, ebenfalls "eine schlichte Erfindung
der römischen Schreibstube" ist (S. 185ff). Interessant finde ich, dass er
in den Texten des NT, durchaus plausibel, drei ganz unterschiedliche fiktive
Gestalten des sog. Paulus identifiziert: einen "Reise-Paulus" (s.
Apostelgeschichte), einen "Briefe-Paulus" und einen
"Kirchen-Paulus". Dem "Briefe-Paulus" können wahrscheinlich
die sieben bisher vermeintlich echten
Briefe, die erst um 140 unserer Zeitrechnung auftauchten, dem
"Kirchen-Paulus" die danach von der frühen Kirche eingefügten Briefe
zugeschrieben werden. Der Autor widerspricht damit ganz entschieden dem unter
christlichen Forschern vorherrschenden "Paulus-Paradigma". Dieses
Buch präsentiert das glaubwürdige Ergebnis einer intensiven Forschungsarbeit in
Form einer akribischen Textanalyse. Der Autor berücksichtigt dabei die
verfügbaren historischen Fakten und die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen
unter römischer Besatzung in der Zeit nach dem Jüdischen Krieg, also nach 70/72
unserer Zeitrechnung. Es ist
eine spannende Lektüre, die streckenweise an den Verlauf eines
Indizienprozesses erinnert: U. a. durch den Vergleich der einschlägigen
neutestamentlichen Schriften mit den sog. historischen Werken des Flavius
Josephus gelingt es dem Autor, aufgrund verblüffender Übereinstimmungen, mit
juristischem Spürsinn eine beeindruckende Fülle von Indizien zu sammeln. Um nur
ein Beispiel zu nennen: Flavius Josephus' Wahrheitsliebe zeigt sich wohl schon
in seinen historischen Schriften als nicht besonders ausgeprägt. U. a. sind
darin enthaltene diverse Zahlenangaben stark übertrieben. Vergleichbares findet
sich auch im NT: z. B. bei der »Speisung der 5000« oder bei den 2000(!) Säuen,
die sich in einen See stürzten, nachdem Jesus aus einem »besessenen Gerasener«
(Markus 5) Dämonen ausgetrieben hatte und ihnen, auf ihre Bitten hin(!),
erlaubte in die »Säue (zu) fahren«. – Ein früher Kritiker des Christentums, der
griechische Philosoph Porphyrios (233-301/305), beschrieb diese Bibelstelle so:
»O Fabel, o Geschwätz, o wahrhaft groteske Lächerlichkeit!« (nachzulesen in der
vom Theologen Adolf von Harnack (1851-1930) übersetzten Schrift Gegen die Christen). Durch
plausible Schlussfolgerungen aus den gesammelten Indizien kommt der Autor dann
zu einer wohlbegründeten Urteilsfindung: Die wesentlichen Grundlagen
christlicher Glaubenslehre sind höchst wahrscheinlich pure Erfindung! Er
gibt dabei nicht vor, nunmehr alle Rätsel der zweifelhaften Entstehung und
Überlieferung der neutestamentlichen Schriften ein für alle Mal gelöst zu
haben. Er hat jedoch die volle Berechtigung, wenn er im Kapitel "Die
dreifache Paulus-Lüge" schreibt: "Ich hoffe, dass ich damit alle
theologischen Mutmaßungen nachvollziehbar entkräften konnte. Wer weitere
Argumente sucht, darf sich gerne mit den Texten unvoreingenommen beschäftigen
und eine überzeugendere Lösung suchen" (S. 199). M. E. gelten diese Sätze
für das gesamte Werk. Die
führenden Köpfe oder besser: Die Apparatschiks der diversen Spielarten des
organisierten Christentums werden den Inhalt dieses Buches, wenn sie ihn denn
überhaupt zur Kenntnis nehmen, schlicht ignorieren. Sie haben es sich in ihrem
»staatskirchenrechtlich geschützten Theotop behaglich eingerichtet« (Friedrich Wilhelm Graf) und werden nichts unternehmen, was ihre
Existenzgrundlage gefährden könnte. Sie begnügen sich damit und sind sehr
routiniert darin, ihren Schäfchen, anhand einer sehr begrenzten Zahl
ausgewählter Bibelstellen, vermeintliche Glaubenswahrheiten zu vermitteln und
sie damit bei der Stange zu halten. Im
Übrigen sehe ich den Autor in der langen Reihe namhafter Kritiker des
Christentums, die es seit den Anfängen dieser Religion immer gegeben hat. Einen
möchte ich hier abschließend zu Wort kommen lassen: Es handelt sich um einen
Anonymus, der in der Frühaufklärung, gegen Ende des 17. Jahrhunderts, in seiner religionskritischen Schrift Traktat über die drei Betrüger (gemeint
sind Mose, Jesus und Mohammed) diese Sätze schrieb: »Kein wahrer Gelehrter wird die Wahrheit zu verletzen meinen, wenn er
feststellt, dass die Geschichte Jesu Christi ein verachtungswürdiges Märchen
und sein Gesetz bloß ein Hirngespinst ist, das durch Unwissenheit verbreitet, vom
eigennützigen Interesse erhalten worden ist ...«. Und er fügte in
einer Anmerkung einen entlarvenden Ausspruch des Papstes Leo X. (1475-1521)
hinzu, den dieser gegenüber dem Kardinal Pietro Bembo (1470-1547) geäußert
haben soll: »Man weiß seit
unvordenklichen Zeiten, welchen Nutzen uns dieses Märchen eingetragen hat«
(s. auch hier). Die hier
betrachteten Bücher sind m. E. durchaus geeignet, die Glaubwürdigkeit
christlicher Glaubenslehre weiter zu erschüttern bzw. das Festhalten des
organisierten Christentums an seinen tradierten "Glaubenswahrheiten" noch gründlicher als
absurde Fehlhaltung zu entlarven. Die
zweifelhafte Entstehungs- und Überlieferungsgeschichte der Schriften bieten
naturgemäß viel Spielraum für Spekulationen oder gar Verschwörungstheorien. Die
Bücher Roland Webers gehören nicht zu entsprechenden Produkten jener Kategorien.
Sie verdienen es ernst genommen zu werden. Dafür sprechen die intellektuelle
Redlichkeit des Autors und seine seriöse und akribische Suche nach Indizien,
die seine Hypothese stützen. Anmerkung
Bei einer Internet-Recherche stieß ich auf die Ergebnisse der europäischen Jugendstudie "Generation What?". Ihre Veröffentlichung erfolgte schon am 05. April 2017. Fast eine Million junger Menschen zwischen 18 und 34 Jahren aus 35 Ländern Europas hatten sich an der Befragung beteiligt. Abgefragt wurde u. a. das Vertrauen in Politik, Medien und Institutionen. Was mir auffiel: "Von allen Institutionen kommen die religiösen am schlechtesten weg: 58 Prozent der jungen Europäer vertrauen ihnen gar nicht und weitere 28 Prozent eher nicht. In keinem einzigen der befragten Länder finden sich mehr als drei Prozent junger Menschen, die religiösen Institutionen voll vertrauen. Besonders extrem fällt das Misstrauen in der Schweiz und Griechenland aus: Dort sagen 70 Prozent der jungen Leute, dass sie überhaupt kein Vertrauen in religiöse Institutionen haben." Das Vertrauen in religiöse Institutionen war auch in früheren Befragungen nicht besonders hoch, so extrem niedrig aber wohl noch nie! Dennoch habe ich von den Betroffenen, insbesondere von den diversen Spielarten des organisierten Christentums, keinerlei Reaktion wahrgenommen. Sie lassen es sich offenbar, in ihrem komportabel ausgestatteten "Theotop", weiterhin gutgehen. Dabei müssten bei ihnen doch alle Alarmglocken schrillen. Der
ehemalige Priester Peter de Rosa (*1932) wagte im vorletzten Kapitel seines
Buches Der Jesus-Mythos folgende
Prognose: "Vorhersagen
sind leicht gemacht, wenn man nicht da sein wird, um sie zu überprüfen. Ich
persönlich glaube jedoch nicht, dass das Christentum das nächste Jahrtausend
überleben wird; und es wird nicht die einzige Weltreligion sein, die
verschwindet." (S. 592) Ich
halte die Einschätzung de Rosas für sehr optimistisch. Das
Christentum ist
zwar, vergleicht man es z. B. mit der altägyptischen Religion, die
mehr als
3000 Jahre existierte, noch relativ jung. Angesichts der desaströsen aktuellen Umfrageergebnisse kann ich mir dennoch
vorstellen, dass es,
zumindest in Europa, schon im 22. Jahrhundert lediglich von marginaler
Bedeutung sein wird. Anmerkungen - Weitere Informationen gibt es hier.
Der
Autor schreibt als Betroffener (Geschädigter?), der sich mit all den rituellen Absurditäten,
Scheinheiligkeiten, mit all den Verstößen z. B. gegen die Gleichbehandlung der
Geschlechter, gegen die körperlich-seelische Unversehrtheit von anbefohlenen
Kindern und Jugendlichen etc. dieser kirchen-christlichen Variante des
organisierten Christentums nicht mehr kritiklos abfinden wollte. Das
Buch ist in einer sehr direkten, punktuell polemischen aber auch humorvollen
Sprache geschrieben. Sein Inhalt zeugt von intimen Insider-Kenntnissen des
Autors und wirkt uneingeschränkt glaubwürdig. Es ist vor allem denjenigen zur
Lektüre empfohlen, die sich ebenfalls von klerikaler Bevormundung oder wie der
Autor es, zugespitzt, auch formuliert, von "Verdummung" emanzipieren
wollen. Abschließend
ein "Glaubenszitat" aus diesem lesenswerten Buch (S. 135): »Wer glaubt, ein Christ zu sein, weil er die Kirche besucht, irrt sich. Man wird ja auch kein Auto, wenn man in einer Garage steht.«
Albert Schweitzer (1875-1965)
07. November 2016 500. Jubiläumsjahr der "Reformation" – Im Fokus: Martin Luther Vor
einer Woche, am diesjährigen Reformationstag, läuteten die protestantischen
Kirchen den Beginn des 500. Jubiläumsjahres der Reformation ein. Es endet am
31. Oktober 2017, der, anlässlich dieses besonderen Jubiläums, nicht nur in
wenigen Bundesländern, sondern bundesweit als offizieller Feiertag begangen
werden soll. In den bis dahin geplanten Feierlichkeiten wird der "Reformator"
Martin Luther (1483-1546) eine zentrale Rolle spielen. Es liegt also
nahe, sich eingehender mit ihm zu befassen. Erst
als ich begann, mich kritisch mit dem Christentum, insbesondere mit seiner
Geschichte, auseinanderzusetzen, stieß ich zwangsläufig auf Quellen, in denen
fragwürdige Äußerungen des "Reformators" thematisiert wurden. Und ich
musste feststellen, dass diese so gar nicht in das Bild passen wollten, das ich
mir von ihm gemacht hatte. Mir wurde seine "tiefdunkle Seite" bewusst. Ich weiß es nicht mehr genau, aber den ersten Anstoß, mich eingehender mit dem "Reformator" zu befassen, gab mir ein Artikel in der ZEIT vom 30. Oktober 2008. Darin wurde auch deutlich, dass er selbst, durch unwahre Behauptungen über seine Herkunft und sein Klosterleben, ganz erheblich zur Entstehung des "Mythos Luther" beigetragen hat (s. hier). Anfang 2009 befasste ich mich dann mit dem damals zelebrierten Calvin-Jubiläumsjahr – der 500. Geburtstag des Schweizer "Reformators" fiel auf den 10. Juli 2009. Ich war dabei u. a. über ein skandalöses Verhalten Melanchthons, eines Weggefährten Luthers, gestolpert (s. hier). Etwa zur gleichen Zeit bearbeitete ich, im Rahmen des Hauptmenüpunktes "Historisches" dieser Website, das Kapitel "Verhalten der Kirche(n) gegenüber den Juden" (s. hier). In das Unterkapitel "Die Saat ging auf" habe ich damals Zitate aufgenommen die ich in einem Buch von Norbert Hoerster (*1937) gefunden hatte (s. hier). Diese Zitate stammten aus einer Schrift Martin Luthers mit dem Titel Von den Juden und ihren Lügen. Diese Schrift spielte dann auch eine maßgebliche Rolle, als ich Anfang 2010 auf einen nicht zu übersehenden Zusammenhang zwischen dem von Luther verbreiteten Gedankengut und der "Reichspogromnacht" stieß (s. hier). Von den Juden und ihren Lügen
war 1543 erstmals erschienen. Vor einigen Monaten wurde es in einer neuen Bearbeitung veröffentlicht. Es enthält, in paralleler Anordnung,
den Originaltext und die Übertragung ins heutige Deutsch. "Diese
Übertragung dient allein der Aufklärung und wird ihren Zweck immer dann
verfehlen, wenn sie als Rechtfertigungswerk für neonazistisches,
antisemitisches Gedankengut missbraucht wird!"
Zwei
Seiten vorher zitieren die Herausgeber die Nr. 1795 aus den sog.
"Tischreden" Martin Luthers. Dieser, von unfassbarer Gefühlskälte und
unüberbietbarer Brutalität gekennzeichnete, Satz spricht für sich: "Wenn ich einen Juden
taufe, will ich ihn an die Elbbrücken führen, einen Stein um den Hals hängen,
ihn hinabstoßen und sagen: Ich taufe dich im Namen Abrahams." Der
Inhalt des Buches besteht, in großem Umfang, aus langatmigen Ausführungen
Luthers über jüdische Falschauslegungen von Textstellen des Alten Testaments.
Ich fand es nicht lohnend, diese Passagen ausführlich zu lesen. Und ich kann
mir durchaus vorstellen, dass selbst Theologen den m. E. verquasten,
unsachlichen Äußerungen Luthers heute nichts mehr abgewinnen können.
"Wir Christen
besitzen unser Neues Testament, das zuverlässig und ausreichend den Messias
bezeugt. Wir glauben noch viel weniger ihren verdammten Falschauslegungen und
lassen sie weiter auf ihren Messias warten. Uns schadet ihr Unglaube nicht. Was
er ihnen nützt und bisher geholfen hat, dass sollten sie ihr anhaltendes Elend
fragen. Das wird ihnen die passende Antwort geben. Wer nicht zu uns will, soll
bleiben wo er ist." (S. 87) "Darum musst du
wissen, lieber Christ, und nicht daran zweifeln, dass du nach dem Teufel keinen
bittereren, bösartigeren oder heftigeren Feind haben kannst, als einen
richtigen Juden, der ernsthaft ein Jude sein will." (S. 157) "Und sieh nun, was
für eine feine, dicke, fette Lüge das ist, dass sie klagen, sie seien bei uns
gefangen. Es ist mehr als 1400 Jahre her, dass Jerusalem zerstört wurde und wir
Christen werden derzeit, wie oben gesagt, schon fast 300 Jahre von den Juden in
aller Welt gequält und verfolgt, sodass wir allen Grund zu klagen haben. Sie
hatten damals unseren Christus gefangen und getötet, was die volle Wahrheit
ist. Dabei wissen wir bis heute nicht, welcher Teufel sie in unser Land
hergebracht hat. Wir haben sie nicht aus Jerusalem geholt. Zudem hält sie auch jetzt
niemand hier. Land und Straßen stehen ihnen offen, sie können in ihr Land
ziehen, wenn sie wollen. Wir würden gern ein Geschenk dazugeben, damit wir sie
loswerden. Denn sie sind uns eine schwere Last, da sie eine Plage, eine Seuche und
pures Unglück in unserem Lande sind. Das sieht man daran, dass sie oft mit
Gewalt vertrieben worden sind, und wir sollten sie auch nicht behalten."
[…] (S. 243) Nach lügenhafter Geschichtsverfälschung – "Christen werden […] schon fast 300 Jahre von den Juden in aller Welt gequält und verfolgt" – beschreibt Luther, in eklatantem Widerspruch dazu, diverse Vertreibungen der Juden aus Frankreich, Spanien, Böhmen, Regensburg etc. Folgerichtiges Denken war offenbar nicht seine Stärke, und er setzt seine Ausführungen in der gleichen verschrobenen, verfälschenden Weise fort: "Nennt
man das gefangen halten, wenn man einen in seinem Land oder Haus nicht leiden
mag? Jawohl, sie halten uns Christen in unserem eigenen Land gefangen. Sie
lassen uns arbeiten im Schweiß unseres Angesichts, um Geld und Gut zu erwerben.
Sie sitzen unterdessen hinter dem Ofen, faulenzen und furzen und braten Birnen,
fressen, saufen und leben leicht und wohl von unserem erarbeiteten Gut. Sie
haben uns und unsere Güter vereinnahmt durch ihre verfluchte Raffgier, spotten
dazu und spucken uns an, während wir arbeiten und sie faule Edelleute sein
lassen in dem, was eigentlich uns gehört." (S. 243/245)
Weiter hinten im Buch stieß ich auf eine Variante dieses ersten Rates: "Erstens soll man ihre Synagogen
verbrennen, und wer es hat, werfe Pech und Schwefel hinein, und wenn jemand
Höllenfeuer dazutun könnte, dann wäre das auch gut." (S. 279)
Anmerkung Es
handelt sich tatsächlich nur um sehr wenige Kostproben aus der Fülle der
einschlägigen Ausführungen Luthers, über die ich beim Querlesen gestolpert bin.
Beim Lesen, dieser und anderer Textpassagen, drängte sich zunächst, ganz
unwillkürlich, ein Bild in mein Bewusstsein, das den berühmten "Lügenbaron
Münchhausen", neben Luther, als ein ganz kleines Licht erscheinen ließ.
Dann dominierte allerdings sehr bald ein ganz anderer Eindruck mein Bewusstsein:
Aus jeder Textseite dieses unsäglichen Pamphlets quoll mir der entfesselte
Judenhass bzw. Antisemitismus Luthers entgegen. – Luther waren Respekt und
Toleranz gegenüber Andersdenkenden völlig fremd. Die
Theologin Margot Käßmann (*1958), seit 2008 „Botschafterin des Rates der Evangelischen
Kirche in Deutschland für das Reformationsjubiläum 2017“, erwähnte in einem
Interview, am vergangenen Reformationstag, sinngemäß, dass man über den
"Antijudaismus" Luthers sprechen müsse. Den ausgeprägten oder besser:
überschäumenden Judenhass Luthers in akademisch-distanzierter Weise als
"Antijudaismus" zu bezeichnen, empfinde ich als krasse Verharmlosung. Im
Übrigen wurde an verschiedenen Stellen des Buches deutlich, dass sich Luthers
Hass nicht nur gegen Juden, sondern in ähnlicher Weise gegen "Türken (=Muslime) und Papstanhänger"
richtete. In diesem Zusammenhang darf natürlich nicht unerwähnt bleiben, dass der Hass gegen Juden, gegen die Mörder des HERRN, zur uralten Tradition der römischen Kirche gehörte, und zwar nicht nur bis zur Zeit Luthers, sondern noch lange darüber hinaus. Im Buch Die Furcht vor der Freiheit des Sozialpsychologen Erich Fromm (1900-1980) fand ich eine bemerkenswerte Charakterisierung der Persönlichkeit Luthers (und Calvins). Im Kapitel 3, Freiheit im Zeitalter der Reformation (S. 87), schreibt er: "Luther
und Calvin sind Musterbeispiele für diesen Menschentyp, der ganz von
Feindseligkeit durchdrungen ist, und das nicht nur in dem Sinne, dass beide als
Persönlichkeit zu den stärksten Hassern unter den Führergestalten der
Geschichte – ganz gewiss aber unter den religiösen Führern – gehören. Noch
bedeutsamer ist, dass diese Feindseligkeit auch in ihre Lehren eindrang und
unausweichlich eine Gruppe ansprechen musste, die selbst von einer intensiven,
ebenfalls verdrängten Feindseligkeit erfüllt war." Dass
Luthers Werk Von den Juden und ihren
Lügen bei den Nazis bekannt war, wurde in der Verteidigungsrede Julius
Streichers (1885-1946), einem der führenden Nazis, im Nürnberger Prozess, 1946, deutlich. Anmerkung Da
verwundert es nicht, dass die Herausgeber des neu bearbeiteten Buches,
in ihrem Vorwort, folgende Einschätzung des Philosophen Karl Jaspers (1883-1969)
dokumentieren: "Was
Hitler getan, hat Luther geraten, mit Ausnahme der direkten Tötung durch
Gaskammern." (S. 9) Martin
Luther gehört zweifellos zu den bedeutendsten historischen Persönlichkeiten, zu
den "wirkmächtigsten Protagonisten der europäischen Geschichte" (S.
9). Die von der "Reformation" ausgehende historische Entwicklung war
nicht von Luther allein angestoßen worden. Er spielte dabei aber wohl die
Hauptrolle. Der in Gang gebrachte Entwicklungsprozess führte zunächst,
zumindest in einigen Regionen Europas, zu einer spürbaren Reduzierung der
weltlichen und religiösen Übermacht
der römischen Kirche. Ihre zuvor unangreifbare Autorität geriet ins Wanken. Dass
dieser Prozess jedoch nicht zu einer "Reformation" der römischen
Kirche führte, sondern, ganz im Gegenteil, zu ihrer Spaltung, war Ursache
heftiger Auseinandersetzungen zwischen den unterschiedlichen Lagern, deren
katastrophaler Höhepunkt mit dem Dreißigjährigen Krieg erreicht wurde.
Um Missverständnissen vorzubeugen: Ich bin überzeugt, dass die von Luther gepredigte Intoleranz gegenüber den Juden bei der überwiegenden Mehrheit ihrer (Noch-)Mitglieder nicht mehr verfängt. Dennoch sehe ich eine wichtige Daueraufgabe der Kirchen darin, dem latent vorhandenen bzw. neu aufkeimenden Antisemitismus in unserer Gesellschaft mit allen, ihnen zur Verfügung stehenden, Mitteln entgegenzuwirken. Durch eine ehrliche und intensive Auseinandersetzung mit der lutherischen Intoleranz könnten sich die Kirchen zudem, noch glaubwürdiger und damit nachhaltiger als bisher, auch gegen andere Spielarten von Intoleranz und Diskriminierung wenden: z. B. gegen jene, denen Flüchtlinge und andere Minderheiten ausgesetzt sind. Nachtrag (22.02.2017)
Die
Evangelische Kirche in Hessen und Nassau (EKHN) verteilte neulich
"Impulspost" an ihre (Noch-)Mitglieder. Sie enthielt ein beigefügtes
Blatt, aus dem man eine, beidseitig bedruckte, Karte im Bierdeckelformat heraustrennen
konnte. Dazu gab es den Hinweis: "Ein Original-Bierdeckel ist bei allen
teilnehmenden Kirchengemeinden kostenlos erhältlich." Als
ich das Ding sah, fiel mir spontan Friedrich Merz ein. Der ehemalige
Vorsitzende der CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag hatte vor Jahren
gefordert, dass jeder Steuerpflichtige, durch vereinfachte Steuergesetze, in
die Lage versetzt werden sollte, seine Steuererklärung auf einem Bierdeckel zu
erstellen. Zugegeben: Die Steuererklärung ist nicht dasselbe wie die Bibel,
dennoch ist die Analogie unverkennbar, und der Plagiatsverdacht nicht ganz
abwegig. Angesichts
der enormen Kosten (s.
Anmerkung unten) dieses groß angelegten "Bierdeckel-Projekts"
frage ich mich, wie verzweifelt die Kirchenoberen der EKHN sein müssen – mutmaßlich
wegen der rasant schwindenden Mitgliederzahlen –, dass sie nunmehr, ganz
unverhohlen, alles daran setzen, die Lufthoheit über den Stammtischen in ihrer
Region zu erringen. In dieser verzweifelten, ja existenziell bedrohlichen, Lage kann ich der EKHN nur dringend empfehlen, unbeirrt noch einen Schritt weiterzugehen: Dank der, in der "Kirchenrepublik Deutschland", bekanntermaßen effizienten Lobbyarbeit der Kirchen, dürfte es für die EKHN kein Problem sein, umgehend Schanklizenzen zu erwerben. Damit könnte sie ihre siechen Kirchengemeinden in die Lage versetzen, in ihren, meist leerstehenden Kirchengebäuden und Gemeindehäusern, z. B. "Jesus-Klausen", "Bierstübchen des HERRN" oder "Paradies-Schenken" zu eröffnen. Dort hätte sie dann alle "Bierdeckelfreunde" in unmittelbarem Zugriff. Die EKHN hat mich durch ihr skurriles Projekt dazu angeregt, hier einige, eher satirisch zugespitzte, Gedankensplitter niederzuschreiben. Dabei will ich es nicht bewenden lassen. Die Vorderseite des Bierdeckels enthält eine sehr berechtigte Frage: "DIE BIBEL AUF EINEM BIERDECKEL?" Eine erste kurze Antwort wird darunter gleich mitgeliefert: "Christsein konkret – 30.442 Verse in 3 Sätzen":
Der erste Satz ist für mich nur noch eine Leerformel. Mit einem, in archaischer Vorzeit, von Menschen, mit eingeschränktem Wissen und ausgeprägter Angst vor allem Unerklärlichen, erdachten Fantasieprodukt, das traditionell «Gott» genannt wird, kann ich nichts mehr anfangen. Wie kann denn ein, auch nur halbwegs zurechnungsfähiger, Mensch ein Fantasieprodukt lieben? Einer
Umfrage in 2011 zufolge glaubten in Westeuropa nur noch 35% der Befragten
daran, "dass es einen Gott gibt" (s.
Anm. unten). Unter den 65% "Ungläubigen" befinden sich
mittlerweile auch Pfarrerinnen und Pfarrer. Auf der Internet-Seite des
Deutschlandradios können die Ergebnisse einer Umfrage, unter niederländischen
evangelischen Theologen, aus dem Jahr 2007, nachgelesen werden. Danach glaubten damals
nur noch 40 % von ihnen an einen "allmächtigen Schöpfer des Himmels und
der Erde". (s.
Anm. unten) Die
Sätze 2 und 3 würde ich, zusammengefasst, etwa so umformulieren: Nimm Dich selbst ernst, nimm Dich an, bleibe nicht stehen, frage Dich, was Du tun kannst, um Umwelt und soziales Miteinander gesund zu erhalten. Dann wirst Du in Dir die, allen Menschen innewohnende, Fähigkeit entdecken, Empathie für die Anderen zu empfinden. Wie schon an anderen Stellen dieser Website, sehe ich mich erneut veranlasst, einen Satz des Theologen Hans Conzelmann (1915-1989) zu zitieren. Conzelmann hatte zuletzt einen Lehrstuhl für Neues Testament an der Universität Göttingen. Er wusste also, wovon er sprach: "Die Kirche lebt davon, dass die Ergebnisse der wissenschaftlichen Leben-Jesu-Forschung in ihr nicht publik sind." Über der zentralen Botschaft der EKHN, auf der Rückseite ihres Bierdeckels, steht der fulminante Satz: "Jesus bringt es auf den Punkt:" (s. oben) Dabei ist es mittlerweile eine Binsenweisheit, dass "die Evangelien des Neuen Testaments überwiegend erfundene Jesusworte enthalten", wie der Theologe Gerd Lüdemann (*1946) feststellte. Und er ergänzte: "Bis heute gelten diese Sprüche innerhalb der christlichen Kirchen als Gotteswort, obwohl sie durch den Erweis ihrer Unechtheit seit langem diskreditiert sind." (mehr s. hier) Die
Kirchen weigern sich beharrlich, ihre "Schäfchen" darüber aufzuklären, dass die allermeisten Jesusworte dem
vermeintlichen Heiland von unzähligen Schreibern,
Nacherzählern und Fälschern, z.
T. erst viele Jahrzehnte nach dessen Tod, in den Mund gelegt worden sind. – Um ihrem fortschreitenden Bedeutungsverlust entgegenzuwirken, befindet sich, im Prioritätenkatalog der Kirchen, Existenzsicherung ganz weit oben, während wahrheitsgetreue Aufklärung überhaupt nicht vorkommt. Daher ließ sich die EKHN mit ihrer Bierdeckel-Aktion m. E. zu einem noch weitaus fragwürdigeren Verhalten hinreißen. Indem sie Jesus, gemäß uralter christlicher Tradition, ihrerseits Worte in den Mund legt, nimmt sie den Anschein in Kauf, die EKHN-spezifische Kurzfassung, jener vielleicht echten oder auch unechten Worte aus dem sog. Matthäusevangelium, stamme vom HERRN persönlich. – Und komme mir keiner mit der, von Theologen, gern geäußerten Rechtfertigung, es handele sich um "symbolische oder metaphorische Rede". Der Grad der Fragwürdigkeit kirchlich-christlichen Verhaltens erfährt noch eine erhebliche Steigerung, wenn man sich darüber hinaus vor Augen führt, dass nicht mit absoluter Sicherheit, sondern allenfalls mit einem gewissen Grad der Wahrscheinlichkeit, angenommen werden kann, dass der im Neuen Testament, hinter dem "erfundenen Jesus" bzw. hinter der "Kunstfigur Christus", verborgene "historische Jesus" tatsächlich gelebt hat. (mehr s. hier) Neben dieser inhaltlichen Fragwürdigkeit darf natürlich noch ein anderer Aspekt der EKHN-Aktion nicht übersehen werden: Die EKHN verschwendet – äußerst leichtfertig – enorm viel Geld (s. Anmerkung unten), das ihr von den Steuerzahlern anvertraut wurde. Dieses Geld steht nun für wirklich wichtige Projekte, insbesondere im Sozialbereich, nicht mehr zur Verfügung … Anmerkungen
Neulich
war ich gerade losgefahren. Da bemerkte ich, dass etwas vor mir vom Himmel auf
die Straße herabfiel. Und fast gleichzeitig landete eine Krähe daneben. Um
einen Zusammenprall zu vermeiden, bremste ich. Die Krähe flatterte erschrocken
auf, und ich konnte die Fahrt fortsetzen. Im Rückspiegel sah ich dann, dass sie
sich sofort wieder niederließ.
Während
der Weiterfahrt erinnerte ich mich an eine ganz besondere Begegnung dieser Art.
Ich hatte sie vor Jahren, als mein Hund Maxi noch lebte, mit dem ich regelmäßig
spazieren ging: Wir waren damals, nur einige hundert Meter weiter, in derselben
Straße unterwegs. Plötzlich hörten wir ein klapperndes, knackendes Geräusch von
der Fahrbahn neben uns. Wir blieben stehen und sahen, dass es von einer vom
Himmel gefallenen Walnuss herrührte. Allerdings blieb diese nicht liegen,
sondern kullerte noch einige Zentimeter über den Boden und … verschwand. Sie
war in eins der Löcher eines Kanaldeckels gefallen. Unmittelbar darauf landete
eine Krähe. Sie schien mich und Maxi überhaupt nicht zu bemerken, obwohl wir
sie, nur wenige Meter entfernt, vom Gehweg aus beobachteten. Ihre ganze
Aufmerksamkeit und Konzentration galt der verschwundenen Walnuss. Sie wirkte
verblüfft, irritiert und ratlos, trippelte hin und her, neigte den Kopf von einer
Seite auf die andere, hielt immer wieder inne, schien zu lauschen. Sie fand
offensichtlich keine Erklärung für das, was ihr da widerfuhr. Ich
weiß nicht mehr, wie lange Maxi und ich zuschauten, und ob wir oder die Krähe
den Ort des Geschehens zuerst verließen. Ich erinnere mich aber noch sehr gut
daran, dass meine Gedanken, auch noch einige Zeit danach, um das Verhalten
dieses verdutzten Vogels kreisten. Das
neuerliche Rendezvous mit einer Krähe frischte nicht nur meine Erinnerungen
auf, sondern löste auch "fabelhafte" Assoziationen aus: Die Krähe flog, noch ganz aufgewühlt, auf kürzestem Wege zu ihrem Schwarm, der sich in der nahegelegenen Fasanerie aufhielt. Atemlos erzählte sie ihren Verwandten, Freundinnen und Freunden vom eben Erlebten: Die Erde habe ihre Nuss verschluckt! Sie wirkte immer noch irritiert und ratlos. Die Krähen, die sie umringten, schauten bekümmert, ja ernsthaft besorgt drein – vielleicht diagnostizierten sie insgeheim eine psychische Krise bei ihr. Dann jedoch erhob sich ein Stimmengewirr, in dem kaum jemand mehr sein eigenes Wort verstand. Erst als jemand ein Machtwort sprach und zu Wortmeldungen aufforderte, verstummte die Runde. Es meldeten sich dann einige, die, mehr oder weniger, dieselbe Meinung vertraten: Die Erde könne keine Nüsse verschlucken! Daraufhin meldete sich eine junge, beklommen
wirkende Krähe und äußerte mit leiser, zitternder Stimme, sie habe auch schon
einmal erlebt, dass eine Nuss in der Erde verschwand. Sie habe sich bisher nur
nicht getraut, darüber zu sprechen, weil sie fürchtete, dass ihr niemand
glauben würde, und man sie womöglich für verrückt erklärte. Ihr wurde
versichert, dass sie das nicht zu befürchten habe und man drängte sie, ihr
Erlebnis zu schildern. Zögernd erzählte sie, es sei etwa ein Jahr her, dass sie
eine Nuss schon mehrfach auf die Erde hatte fallen lassen, jedoch ohne den
gewünschten Erfolg. Sie betonte, dass es sich um eine schwere, gut gefüllte
Nuss gehandelt habe. Daher habe sie es auf jeden Fall nochmals probieren wollen.
Sie sei mit der Nuss hochgeflogen, habe sie hinuntergeworfen und sogar noch den
Aufprall gehört. Dann sei diese jedoch spurlos verschwunden – wie vom Erdboden
verschluckt! Sie stockte kurz, bevor sie weitersprach: Sie sei daraufhin von
panischer Angst ergriffen worden bei dem Gedanken, dass ihr womöglich dasselbe
Schicksal drohte und sei, Hals über Kopf, davongeflogen. Seither habe sie um
diesen "verwunschenen" Ort einen großen Bogen gemacht. Alle in der Runde schwiegen betroffen und
waren sichtlich bewegt. Diese, sehr emotional vorgetragene, Schilderung hatte ihnen
schlicht die Sprache verschlagen. Es dauerte eine ganze Weile, bis sich jemand
meldete, der, trotz des nunmehr zweifach bezeugten, "wundersamen"
Verschwindens einer Nuss, darauf bestand, dass es dafür eine ganz natürliche
Erklärung geben müsse, die beim aktuellen Kenntnisstand zwar noch nicht bekannt
sei, aber wahrscheinlich irgendwann in der Zukunft Stand des Wissens sein werde.
Ein lautstarkes Raunen ging durch den Krähenschwarm und bei genauerem Hinhören
wurde deutlich, dass es heftigen Widerspruch gab. Die
hitzige Debatte dauerte noch ziemlich
lange an. Schließlich ließ sich die Krähe, die vorher
in der Versammlung ein
Machtwort gesprochen hatte, erneut hören. Bedächtig
erzählte sie von einem
Ausflug an den Rhein, den sie kürzlich unternommen habe. Unterwegs
sei sie einer Artgenossin begegnet, die der Krähenkolonie auf dem
Kühkopf angehörte. Es habe sich eine freundliche, entspannte
Unterhaltung entwickelt. Man habe über dies und das gesprochen
und Erfahrungen ausgetauscht. Ein Thema habe in ihrem Gespräch
eine
besondere Rolle gespielt: Seine Gesprächspartnerin habe ihm
begeistert von den
laufenden Vorbereitungen zu einem großen Fest erzählt, das
ihr Schwarm jedes
Jahr, an einem "heiligen" Ort, auf der Knoblochsaue feierte und zwar
das "Opferfest zu Ehren des Großen Geistes". Sein fragender Blick
habe sein Gegenüber dann veranlasst, etwas ausführlicher
darauf einzugehen. Wie sich herausstellte, war die Kolonie auf
dem Kühkopf, vor vielen Jahren, immer wieder von Schicksalsschlägen heimgesucht
worden. U. a. gab es häufig Überschwemmungen, die nicht nur das Nahrungsangebot
verknappten, sondern eine große Gefahr für Krähenküken darstellten. Durch hinzukommende
heftige Stürme, die Bäume umstürzten oder Äste von den Bäumen brachen, fielen
sie aus ihren Nestern und ertranken jämmerlich. Die Weisen des Schwarms kamen
dann eines Tages zu der Erkenntnis, dass ihnen nur ein, zwar unsichtbarer, aber
sehr mächtiger "Geist" die Heimsuchungen geschickt haben konnte. Und
sie führten das besagte Fest ein. Den Höhepunkt des Festes bildet ein
Opferritual. Alle Mitglieder der Krähenkolonie bringen ihre Lieblingsspeise –
u. a. Regenwürmer, Schnecken, Walnüsse, Eicheln, Feldmäuse usw. – und legen
sie am "heiligen" Ort, am Fuße einer großen Eiche, nieder. Der Redner führte weiter aus, dass er seine
Gesprächspartnerin gefragt habe, welcher tiefere Sinn mit dem Opferritual verbunden
sei. Nach einem kurzen erstaunten Blick, wohl eine Reaktion auf seine zu Tage
tretende Unwissenheit, habe sie ihm erklärt, dass die Opfernden, mit ihren freiwillig,
demütig und ehrerbietig dargebrachten Opfergaben, versuchten, den "Großen
Geist" gnädig zu stimmen. Der ersehnte Erfolg sei zwar nicht garantiert,
denn, wie die Weisen herausgefunden hätten, entscheide der "Große
Geist" stets "nach seinem Wohlgefallen", sie seien jedoch, schon
eine erfreulich lange Zeit, von schlimmen Schicksalsschlägen verschont
geblieben. Er habe diese Informationen bisher für sich
behalten, fuhr der Redner fort, stelle nun aber fest, dass es an der Zeit sei,
miteinander darüber zu reden. Und er fragte die Umstehenden, ob es nicht
angeraten wäre, aus den Erfahrungen der Kühkopf-Kolonie zu lernen und auch ein
Opferfest einzuführen. Die Antworten aus der Runde waren eindeutig. Fast alle
wünschten sich das Fest, und, freudig erregt, fragten sie durcheinander: Wann?
Wo? Wie? Der Redner hatte Mühe, sich Gehör zu verschaffen. Dann sagte er, dass
er sich schon einige Gedanken dazu gemacht habe und Folgendes vorschlage: Das
Fest müsse dem "Mächtigen Erdgeist" gewidmet sein und einmal im Jahr
stattfinden. Als Opfergaben kämen nur die schönsten und größten Walnüsse in
Betracht. Und als Ort, an dem diese in angemessener Form dargebracht werden
könnten, gäbe es keinen passenderen, als den Fuß der altehrwürdigen
Pyramideneiche im Zentrum der Fasanerie, wo sich die Hauptwege kreuzen. In der Krähenschar brandete anhaltender
Beifall auf, und von allen Seiten wurde der Redner aufgefordert, das Nötige in
die Wege zu leiten. Bevor er, abschließend, die organisatorischen Details
ansprach, stellte er noch eine weitergehende Überlegung zur Diskussion: Er
könne sich durchaus vorstellen, auch am Opferfest der Nachbarkolonie auf dem
Kühkopf teilzunehmen und im Gegenzug Gäste von dort zum Fest in der Fasanerie
einzuladen. Wenn die Anwesenden keine Einwände hätten, würde er Kontakt zu den
Verantwortlichen der Kühkopf-Kolonie aufnehmen, um deren Zustimmung einzuholen.
Er sei der festen Überzeugung, dass es nicht schaden könne, sich auch das
Wohlwollen des "Großen Geistes" zu sichern … Es gab keinen Widerspruch. Und als Tag des ersten Opferfestes legte er den übernächsten Sonntag fest. Am Ende meldeten sich zahlreiche freiwillige Helfer, die sich unbedingt an den Vorbereitungen beteiligen wollten. Anmerkung
Der
Soziologe und Sozialpsychologe Harald Welzer (*1958) befasst sich in seinem
Buch, das den programmatischen Titel Selbst
denken – eine Anleitung zum Widerstand trägt, u. a. mit den Voraussetzungen
für das Gelingen von überlebenswichtigen
globalen Projekten am Beispiel des Kampfes gegen die "gefährliche
Klimaerwärmung". Er führt in diesem Zusammenhang aus, "dass es nicht
nur materielle und institutionelle Infrastrukturen gibt, die unsere Existenz
prägen und unsere Entscheidungen anleiten, sondern auch mentale. Anders gesagt:
Das meiste von dem, was wir wahrnehmen, deuten und tun, entzieht sich dem
Bereich des Bewusstseins". (S. 64)
"Der notwendige
Umbau nicht nur der materiellen und institutionellen, sondern eben auch der
mentalen Infrastrukturen muss das in Rechnung stellen – es handelt sich hier
nicht einfach um ein kognitives Problem,
das mit Aufklärung und Einsicht zu lösen wäre, sondern um die Trägheit von
Geschichte und Lebenswelt." (S. 64) Harald
Welzer fordert in seinem Buch, nicht nur an dieser Stelle, nachdrücklich den Umbau
bzw. den Wandel der genannten "Infrastrukturen". Er tut dies im Blick
auf eine lebensdienliche Gestaltung der Zukunft der Menschheit und ihres
Planeten. Und er sieht dabei jeden Einzelnen von uns in der Verantwortung. Auf
diesem Hintergrund verwundert es nicht, wenn er einen zwar bekannten, jedoch
viel zu selten angesprochenen, Umstand hervorhebt: "Das gute Leben
muss man leider auch gegen sich selbst erkämpfen, gegen die Trägheit des
Gewohnten, des gefühlten Menschenrechts auf »bitte immer so weiter«. Wenn es um
Widerstand geht, bedeutet das immer auch: Widerstand gegen sich selbst." (S. 131/132) Ein
Hauptthema bzw. ein Hauptanliegen dieser Website ist ebenfalls ein
Wandlungsprozess – der
individuelle
Wandlungsprozess vom Gläubigen zum Ungläubigen bzw.
Religionslosen. Daher musste mir die Analogie zu den Überlegungen
Harald Welzers ins Auge springen. Die
seit jeher sehr innige Verquickung von Kirchen und Staat in der Bundesrepublik
Deutschland ermöglicht und stützt die mächtigen "materiellen und
institutionellen Infrastrukturen" des organisierten Christentums. Solange
die deutsche Politikerkaste von zahlreichen, außerordentlich aktiven und
effektiven Ekklesia-Lobbyisten durchsetzt ist, wird sich daran leider bis auf
weiteres auch nichts ändern. Diese
spezifischen "materiellen und institutionellen Infrastrukturen"
bilden das gesellschaftliche Umfeld, das seinerseits mit den, ebenfalls sehr
spezifischen, "mentalen Infrastrukturen" der Gläubigen in
Wechselwirkung steht. Die
meisten sog. Gläubigen haben eine religiös geprägte Sozialisation unter der
Regie jener Religion hinter sich, in die sie – zufällig – hineingeboren wurden.
Im Religionsunterricht und in den gottesdienstlichen Ritualen waren sie dabei häufig
der Berieselung durch in Dogmen ein für alle Mal festgeschriebene,
vernunftwidrige Lehrmeinungen ihrer Kirchen ausgesetzt. Selbst, wenn sie im
weiteren Verlauf kaum noch regelmäßig in die Kirche gingen und nur noch aus
Gewohnheit Kirchenmitglieder sind, hat die Indoktrination in ihren frühen
Jahren tiefe Spuren in ihren "mentalen Infrastrukturen" hinterlassen.
Daher bleiben sie empfänglich für wohlfeile, von Klerikern und Politikern
gleichermaßen, häufig wiederholten, wirkmächtigen Beschwörungsformeln, wie etwa:
Jedes Volk hatte und hat seine Religion. Wenn es die Religion bzw. die Kirchen
nicht gäbe, die Hüterinnen der »christlichen Werte«, dann würde, etwas
zugespitzt formuliert, nicht nur unsere »christlich-abendländische Kultur« untergehen,
sondern unsere Gesellschaft ungebremst ins Chaos stürzen. Verfechter
der Religion und andere interessierte Kreise bemühen in diesem Zusammenhang
gern ein Wort des russischen Schriftstellers Dostojewski (1821-1881): "Wenn es keinen
Gott gibt, dann ist alles erlaubt." Es ist
ein Wort, das nur Interessenvertreter und unkritisch-leichtgläubige Religionszugehörige
für plausibel halten können. (mehr s.
hier) Theologen rechnen, ebenso wie Politiker, mit der Leichtgläubigkeit ihrer Zuhörer. Der Philosoph Walter Kaufmann (1921-1980) hat dies einmal exemplarisch anhand einer Äußerung des Theologen Paul Tillich (1886-1965) verdeutlicht:
Die
sog. Gläubigen sind es nicht gewohnt, kritisch zu hinterfragen, was ihnen in
kirchlichen Ritualen, die in ihrer Wirkung auf Dauer einer Gehirnwäsche nicht
ganz unähnlich sind, zugemutet wurde und wird. Um hier umzusteuern, wäre für
jeden Betroffenen genau das erforderlich, was Harald Welzer "den
Widerstand gegen sich selbst" bzw. den bewussten Kampf "gegen die
Trägheit des Gewohnten" nennt. Harald
Welzer formuliert in seinem Buch "12 Regeln für erfolgreichen
Widerstand" (S. 293) . Vier davon scheinen mir für den hier betrachteten
Zusammenhang als besonders beherzigenswert: "2. Es hängt ausschließlich von Ihnen ab, ob sich etwas ändert. 3. Nehmen Sie sich deshalb ernst. 4. Hören Sie auf, einverstanden zu sein. 5. Leisten Sie Widerstand, sobald Sie nicht einverstanden sind." Aus eigener Erfahrung weiß ich: Das alles ist leichter gesagt als getan. Ein möglicher Umbau der "mentalen Infrastrukturen" vollzieht sich nicht schlagartig. Er erfordert einerseits Geduld mit sich selbst und andererseits auch ein gehöriges Maß an Frustrationstoleranz. Letztere hilft u. a. beim Verlassen des gewohnten Beziehungsrahmens und bei der Suche nach einem neuen. Im Übrigen kann ich nicht bestätigen, was von interessierter Seite, aber auch von wohlmeindenen Christen immer wieder einmal als Schreckensszenario an die Wand gemalt wird, dass nämlich Betroffene durch den, nach einem individuellen Wandlungsprozess, vollzogenen Abschied vom Religiösen ihren inneren Halt verlieren und geradewegs in die Verzweiflung stürzen könnten. Im Gegenteil: Ich empfand das Abstreifen der »Fesseln des Religiösen« bzw. die Aufgabe lang gehegter Illusionen als Befreiung. |
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