Aktuelles, Nachgetragenes,
Satirisches
2012
- 2014
07. Mai 2014
Der Sühnetod Christi – war Gott persönlich das Opfer?
(Nachtrag zum Sühnetod Christi – Versöhnung mit Gott, Erlösung der Gläubigen?)
Ein pensionierter
evangelischer Pfarrer rief mich kürzlich an – wir haben vor Jahren, für einige
Zeit, in einem kirchlichen Gremium zusammengearbeitet. Er war zufällig auf
diese Website gestoßen und teilte mir u. a. mit, dass er nicht mit allem, was
er schon gelesen hätte, einverstanden sei, meiner Haltung zum
Absolutheitsanspruch des Christentums und zum Opfer- bzw. Sühnetod Christi jedoch
zustimmen könne. Im Laufe unseres Gesprächs erfuhr ich auch etwas über seinen
aktuellen Interessensschwerpunkt: Er widmet sich, wie ich feststellen konnte,
mit großem Engagement der Arbeit für Frieden und Gewaltverzicht. Dazu beteiligt
er sich an den Aktivitäten entsprechender innerkirchlicher Gruppen und ist
darüber hinaus aktives Mitglied des Internationalen Versöhnungsbundes. Am Ende
unseres Telefonats stellte er dann in Aussicht, mir einige Papiere zukommen zu
lassen, die mich interessieren könnten, u. a. die Kopie eines
SPIEGEL-Interviews mit dem Theologen Rudolf Bultmann (1884-1976) aus dem Jahre
1966.
Das
SPIEGEL-Gespräch mit Bultmann erregte mein besonderes Interesse.
Es beginnt mit
dem Hinweis auf eine "Anti-Bultmann-Kundgebung" in der Dortmunder
Westfalenhalle
im März 1966. 22 000 Teilnehmer, Angehörige einer
"Bekenntnisbewegung",
protestierten dort gegen die "Irrlehre" Bultmanns, wie sie seine, von
der traditionellen Theologie abweichende, Position etikettierten.
Bultmann war
durch eine kritische Analyse der im Neuen Testament (NT)
überlieferten
Schriften zu der Auffassung gelangt, "dass viele Worte Jesu ihm erst
nach
seinem Tode zugeschrieben worden seien und dass viele Wunderberichte
Legenden
seien". Das war zwar nicht neu, andere Theologen waren schon vor ihm zu
dieser Erkenntnis gelangt. Bultmann zog immerhin Konsequenzen daraus,
bedauerlicherweise jedoch nur in sehr bescheidenem Umfang: Er
strebte
eine Neuinterpretation der Schriften und der daraus abgeleiteten
Glaubensinhalte des Christentums an. Im Jahr 1941 löste er
"mit einem einzigen
Artikel die Debatte über die Entmythologisierung aus". Diese betraf vor
allem jene mythischen Vorstellungen, die sich um den vermeintlichen Gottessohn
Jesus alias Christus rankten.
In
einigen ergänzenden Informationen zum Interview, aus denen schon im
vorausgehenden Abschnitt zitiert wurde, verdeutlicht DER SPIEGEL, welche Rolle
Bultmann seinerzeit im öffentlichen Bewusstsein spielte, und was konservative
christliche Kreise ihm vorwarfen:
"Rudolf
Bultmann ist neben Karl Barth der bedeutendste und zugleich der umstrittenste
Theologe der Gegenwart.
[…]
Vorgeworfen
wird Bultmann vor allem, dass er die Gottessohnschaft Jesu, die
Jungfrauengeburt und die Auferstehung Jesu leugne."
Wer
die Gottessohnschaft Jesu leugnet stellt insbesondere, gewollt oder ungewollt,
die gesamte christliche "Opfertheologie" in Frage. Natürlich ließen
sich hier verschiedene Teilaspekte dieser Theologie und deren Folgen für
Individuen und Gesellschaft thematisieren. Es gibt Theologinnen und Theologen,
und mein o. g. Gesprächspartner gehört wahrscheinlich dazu, die u. a. sehr
ernsthaft den unübersehbaren "Zusammenhang zwischen Opfertheologie und
christlicher Gewalt" diskutieren (s.
auch hier) und daraus ihre Ablehnung der altchristlichen Vorstellung vom "Sühnopfer
Christi" ableiten. Mich interessiert hier jedoch nur ein einziger, m. E. aber
bedeutender, Teilaspekt, der in der folgenden Passage des wiedergegebenen
Interviews nicht zu übersehen ist:
"SPIEGEL:
Über die Bedeutung des Kreuzes, des Todes Jesu am Kreuz, haben Sie so
Eindringliches geschrieben wie wenige andere Theologen. Dazu gehört wohl auch
der Satz, den einige für berühmt, andere für berüchtigt halten: »War Christus,
der den Tod litt, Gottes Sohn, das präexistente Gottwesen, was bedeutet dann
für ihn die Übernahme des Sterbens? Wer weiß, dass er nach drei Tagen
auferstehen wird, für den will offenbar das Sterben nicht viel besagen!«
BULTMANN: Sie zitieren diesen Satz in diesem
Zusammenhang mit Recht: Wenn an der Präexistenz im traditionellen Sinn
festgehalten wird, so wird die Bedeutung des Kreuzes abgeschwächt."
Wenn
Jesus Gott war – das wurde ihm tatsächlich schon durch das Konzil in Nicäa (325),
spätestens und abschließend jedoch durch einen Beschluss(!) des Konzils in
Chalcedon (451) unwiderruflich bescheinigt (s. hier) –, dann wird "die Bedeutung des Kreuzes" m. E.
nicht nur, wie es Bultmann sehr zurückhaltend formulierte,
"abgeschwächt", sondern schlicht ad absurdum geführt!
Einem
Menschen, der erst, von ihm selbst gänzlich unvorhersehbar, nach Tod und
Auferstehung zum Gott erhoben wird – entsprechend der ursprünglich von Paulus
gehegten Glaubensmeinung – könnte, um in christlicher "Logik" zu
bleiben, einigermaßen glaubwürdig und nachvollziehbar, die Rolle des "Opferlammes"
zugeschrieben werden, dessen Leiden und Tod einem zornigen Gott eine akzeptable
Genugtuung (Satisfaktionslehre) für die von seinen Geschöpfen ihm gegenüber
verübten Unbotmäßigkeiten (Erbsünde, Unglaube, Ungehorsam, Lästerung etc. etc.)
verschafften.
Was
für einen zum Gott erhobenen Menschen, folgt man christlicher
"Logik",
also noch halbwegs plausibel erscheinen mag, verliert für einen Gott,
der sich
(inkognito) unter seine Geschöpfe mischt und persönlich die
Rolle des
"Opferlammes" übernimmt, jegliche Plausibilität: Einmal
angenommen, ein
Gott, der ja kein Wesen aus Fleisch und Blut sein soll und dem,
gemäß
christlicher Lehre, u. a. Allmacht und Allwissenheit oder kurz:
Vollkommenheit zugeschrieben
werden, würde sich, aus welchen Gründen auch immer, der
eigenen Hinrichtung durch
seine Geschöpfe unterziehen, so können ihm Kreuzigung, sowie
Leiden und Sterben
doch überhaupt nichts anhaben, mithin gar nichts bedeuten! Ein
ungeheuerlicher Verdacht drängt sich ins Bewusstsein: Dieser Gott
inszenierte ein perfides Täuschungsmanöver.
Durch
die Lehre vom "präexistenten Gottwesen", die sich, auf der Basis
der Eingangsverse des Johannesevangeliums, des jüngsten Evangeliums im NT, erst
einige Jahrhunderte nach dem Tode dieses vermeintlichen "Gottwesens" endgültig gegen
andere Lehrmeinungen durchgesetzt hatte, wurde alles auf den Kopf gestellt: Indem
die Verfechter dieser Lehre einen Gott ans Kreuz schlugen, machten sie diesen
Gott, ganz unbewusst und wahrscheinlich ungewollt, zum Betrüger bzw. zum
Protagonisten eines beispiellosen Schmierenstücks! Da, nach urchristlichem
Verständnis, nichts ohne seinen Willen geschieht, kann darüber hinaus als
sicher angenommen werden, dass er nicht nur die Hauptrolle spielte, sondern gleichzeitig
Produzent, Regisseur, Maskenbildner und Kulissenschieber war.
Ich
frage mich besorgt: Was wird nun aus jenen "Gläubigen", aus den
noch
lebenden und aus den schon verstorbenen, die im Vertrauen auf die
"Vergebung
ihrer Sünden" bzw. im Vertrauen auf ihre "Erlösung" –
wovon auch
immer –, den "Leib" des "Gekreuzigten" verzehrten und sein "Blut"
tranken? Muss das zentrale christliche Projekt nicht neu definiert
werden,
vielleicht unter dem Arbeitstitel 'Erlösung 2.0'? Fragen über
Fragen …
Ich
will mich ja nicht einmischen, dennoch empfehle ich allen, die sich ein Leben ohne
Gott nicht vorstellen können, sich einen anderen zu suchen. Vielleicht
könnten sie sich von Epikur (um 342-270 v. Chr.) inspirieren lassen:
"Das
glückselige und unvergängliche Wesen (die Gottheit) kennt weder selbst
Schwierigkeiten, noch bereitet es sie einem anderen; daher hegt es weder Zorn
noch Wohlwollen, denn nur bei einem schwachen Wesen sind derartige Regungen
möglich."
Den erfundenen
christlichen Gott als Betrüger zu betrachten wäre natürlich völlig absurd. Noch
nicht einmal die Schöpfer dieser "Kunstfigur" können als solche gesehen
werden: Sie waren, aus heutiger Sicht, wohl ausnahmslos und in nahezu jeder
Hinsicht ahnungslose religiöse Enthusiasten, die keine Mühe damit hatten, die
in ihrer spätantiken Umwelt allgegenwärtigen Mythen und Legenden für bare Münze
zu nehmen. Die eigentlichen Betrüger
sind diejenigen, die es besser wissen oder besser wissen könnten,
und die dennoch die im NT verewigten Mythen
und Legenden auch heute noch als "göttliche
Wahrheit" verkaufen!
Anders
als Bultmann, zog z. B. der Theologe Franz Overbeck (1837-1905), der durch
seine Analysen des NT schon lange vor ihm zu ähnlichen Erkenntnissen gelangt
war, sehr viel weitergehende Konsequenzen: Sich vom Christentum endgültig zu
verabschieden war für ihn eine "Befreiung". Er war zu der Erkenntnis
gelangt, dass "gerader Menschenverstand und
höchste Weltsicht stets entgegengesetzt gedacht" hätten als die Theologen
(s. hier). Von ihm stammt auch
dieses Wort:
"Jede radikalere Preisgebung der Bibel als religiöses Denkmal
muss zur Erkenntnis führen, dass die bisherige religiöse Entwicklung der
Menschheit eine heillose und darum still zu stellende Verirrung
darstellt."
Der
Philosoph Joachim Kahl (*1941), ein Philosoph mit profunder theologischer
Vorbildung, kam zu einem noch sehr viel drastischeren Urteil:
"Das
Neue Testament ist ein Manifest der Unmenschlichkeit, ein groß angelegter
Massenbetrug; es verdummt die Menschen, statt sie über ihre objektiven
Interessen aufzuklären."
Und er
beschreibt danach sehr eindrücklich, "welche fatale ideologische Funktion
das Hauptthema des Neuen Testaments, das unschuldige Leiden und Sterben Jesu,
in diesem Zusammenhang einnimmt".
Natürlich
sind längst nicht mehr alle Theologinnen und Theologen, insbesondere unter den evangelischen,
Anhänger der Glaubensmeinung, dass Jesus Christus Gott sei. Das bedeutet für
sie aber auch, dass sie Texte des NT entweder selektiv benutzen, in irgendeiner
Weise zurechtstutzen oder, wie Joachim Kahl es einmal in anderem Zusammenhang
ausdrückte, "christlich frisieren" müssen. – Aufgrund ähnlicher
Überlegungen nannte Franz Overbeck die Theologen folgerichtig "die Figaros des Christentums".
Anmerkungen
- Das
Interview mit dem Theologen Bultmann war in der SPIEGEL-Ausgabe Nr. 31/1966, S.
42-45, erschienen.
- Das Epikur-Zitat ist EPIKUR – PHILOSOPHIE DER FREUDE (S. 63) entnommen.
- Die
Overbeck-Zitate stammen aus dessen Buch Christentum
und Kultur (S. 267, 77, 274). Seine "Befreiung" vom Christentum
erwähnt Overbeck in seinen Selbstbekenntnissen
(S. 139).
- Die
Kahl-Zitate sind dessen Buch Das Elend
des Christentums (S. 19, 64) entnommen.
24. April 2014
Abschied von Karlheinz Deschner (1924-2014)
Am 08.
April 2014 starb, in seinem neunzigsten Lebensjahr, der literatur- und
kirchenkritische Schriftsteller Karlheinz Deschner. Durch einen Nachruf im stern,
vom 16. April 2014, erfuhr ich von seinem Tod. In diesem Nachruf würdigte die
katholischen Theologin und Kirchenkritikerin Uta Ranke-Heinemann (*1927) einen
"Weggefährten, dessen Standhaftigkeit sie bewunderte":
"Ich habe dich
immer als Weggefährten empfunden im Ringen, dass Dickicht von Lügen und
Halbwahrheiten zu durchdringen, auch wenn wir beide nicht immer zu gleichen
Ergebnissen gekommen sind."
Während
meiner eigenen Recherchen, zu verschiedenen Aspekten des Christentums, stieß
ich schon in einem frühen Stadium auf die Christentums- und Kirchen-kritischen
Werke Deschners. Nach meiner Erinnerung las ich als erstes das Buch Der Anti-Katechismus, das er zusammen
mit dem katholischen Theologen Horst Herrmann (1940-2017) veröffentlicht hatte.
Danach folgten Der gefälschte Glaube,
seine "kritische Kirchengeschichte" Abermals krähte der Hahn und einige andere.
Kein Christentums-kritischer
Autor hat mich so nachhaltig über die mehr als fragwürdige
Überlieferungsgeschichte der neutestamentlichen Texte aufgeklärt wie Karlheinz
Deschner. Schon dadurch verlor die christliche Lehre in meinen Augen jede
Glaubwürdigkeit. Er war ein Autor, der ganz maßgeblich dazu beitrug, dass ich
mich vom Christentum verabschieden konnte.
Manche
Kritiker sahen seine Art zu argumentieren und Schlussfolgerungen zu ziehen von "Aggressivität"
und "Polemik" gekennzeichnet. Ich finde, dass Karlheinz Deschner
seine kritische Haltung stets in deutlichen, direkten Worten zum Ausdruck brachte.
M. E. zeigt sich in seinen Texten ein leidenschaftliches Engagement im Dienste
notwendiger Aufklärung, nicht nur über die fragwürdigen Lehr-und
Glaubensinhalte des Christentums, sondern insbesondere über das ebenso
fragwürdige, auf gesellschaftlichen Machtgewinn und/oder Machterhalt ausgerichtete,
"selbstherrliche" Gebaren der Kirchen.
Darüber
hinaus sind die Texte Deschners von seiner nie erlahmenden intellektuellen
Redlichkeit geprägt. Beim Lesen seiner Texte kam mir nie auch nur der leiseste
Verdacht, er hätte die unendlich vielen Quellen der zitierten Fakten vielleicht
nicht sauber recherchiert und analysiert.
Den
oben erwähnten Kritikern Deschners möchte ich folgende Worte des
deutsch-amerikanischen Philosophen Walter Kaufmann (1921-1980) entgegenhalten:
"Der
ostentative Gebrauch eines Jargons wird fälschlich für Objektivität gehalten.
Anmaßung wird mit Präzision verwechselt, wortreiche Umständlichkeit mit
Sorgfalt. Leidenschaftslosigkeit gilt als Beweis dafür, dass man nicht
willkürlich verfährt. Ängstliches Kaschieren subjektiver Elemente und
Leidenschaftslosigkeit sind jedoch weder ein Ausweis intellektueller
Ehrlichkeit, noch haben sie überhaupt etwas damit zu tun."
Karlheinz
Deschner war und bleibt ein Vorbild an "Standhaftigkeit" und Ausdauer
für alle Aufklärer, und Aufklärung ist und bleibt eine
Daueraufgabe.
Anmerkung
Das Kaufmann-Zitat stammt aus Der Glaube eines Ketzers (S. 24).
12. Januar 2014
BRD: Schlaraffenland für Kirchen – Ekklesia-Lobbyisten machen's möglich
Auslöser für diesen Beitrag ist eine
aus dem stern vom 02.10.2013 herausgerissene Seite, die einen Teil der Rubrik Die
Welt verstehen – kurze Antworten auf aktuelle Fragen enthält. Ein stern-Politikredakteur beantwortet darin die Frage einer Leserin:
Frage:
"Warum steigen trotz der vielen Austritte
die Einnahmen der Kirchen?"
Antwort:
"In der
Tat: In den vergangenen 20 Jahren haben evangelische und katholische Kirche
mehr als 6,4 Millionen Mitglieder verloren. Dennoch konnten beide 2012
Rekordeinnahmen verbuchen: 4,6 Milliarden Euro die Protestanten, 5,2
Milliarden Euro die Katholiken. Der Grund: Die Zahl der Erwerbstätigen und auch
die Löhne sind kräftig gestiegen. Wie der Fiskus profitieren auch die
Kirchen."
Dass
der Fiskus von der steigenden Zahl der Erwerbstätigen profitiert,
kann ich akzeptieren: Er sorgt schließlich für die "gesellschaftliche Infrastruktur".
Dass die Kirchen davon profitieren, ist ein krasser Systemfehler und nicht
akzeptabel. Den Kirchenoberen müsste die Schamesröte ins Gesicht steigen. Die
von Ihnen vielbeschworene und stets wortreich geforderte Gerechtigkeit für alle
Teile der Gesellschaft ist für sie in diesem Zusammenhang kein Thema. Ist es
gerecht, bei einer deutlich reduzierten Mitgliederzahl, mehr einzunehmen als je
zuvor? Wäre es nicht an der Zeit, dass die Kirchen Teile ihrer Kirchensteuereinnahmen
an ihre Mitglieder zurückzahlten? Und müsste die Politik nicht längst reagieren
und eine detaillierte, lückenlose Darstellung des tatsächlichen, an die
gesunkenen Mitgliederzahlen angepassten, Finanzbedarfs fordern?
Noch
dringlicher erscheint der gesellschaftspolitische Handlungsbedarf, wenn man
sich vergegenwärtigt, was der Politologe und Autor Carsten Frerk (*1945) in
seinem Violettbuch Kirchenfinanzen
feststellt:
"Die
Zuwendungen der öffentlichen Hand an die Kirchen übersteigen deren Einnahmen
aus der Kirchensteuer bei weitem. Und da die Kirchen steuerbefreit sind, tragen
sie nichts zur Finanzierung der gesellschaftlichen Infrastruktur bei, von der
sie profitieren."
Frerks
Zusammenfassung dieser Zuwendungen aus Steuermitteln "zugunsten der
Kirchen, ihrer Einrichtungen und ihrer Mitglieder (ohne Caritas und
Diakonie)", die übrigens von allen Steuerzahlern aufgebracht werden, seien
sie nun Christen, Muslime, Juden, Konfessionsfreie, Nichtreligiöse, säkulare
Humanisten oder Atheisten, zeigt für das Jahr 2009 eine Summe von 19,3
Milliarden EUR!
Wenn
man sich, über diese Informationen hinaus, die Medienberichte der letzten
Monate vergegenwärtigt, die die mehr als großzügige oder genauer:
verschwenderische Finanzierung bischöflicher Protzbauten oder den
milliardenschweren Immobilienbesitz mancher Bistümer zum Thema hatten, dann
kann man sich nur schwer gegen aufsteigende Zornesröte wehren. Und
berücksichtigt man zudem die allgemein bekannte Geheimniskrämerei der Kirchen,
in Geld- und anderen Angelegenheiten, dann ist die Annahme berechtigt, dass noch
längst nicht der volle Umfang des fragwürdigen Umgangs der Kirchen mit den von
der Gesellschaft überwiesenen Steuermilliarden aufgedeckt wurde.
Fairerweise
muss hier natürlich eine differenziertere Betrachtung erfolgen. Diese sei
anhand einiger Positionen der Frerkschen Zusammenfassung versucht: Die Gelder
aus dem Einnahmeverzicht des Staates aufgrund der Absetzbarkeit der KiSt als
Sonderausgabe (3 Mrd.), aus der Ersparnis der Kirchen durch den staatlichen
Einzug der KiSt (1,8 Mrd.) und aus den Steuerbefreiungen der Kirchen (2,27
Mrd.), die eine Summe von 7,07 Mrd. ergeben, könnten sinnvoller für andere
gesellschaftliche Aufgaben genutzt werden.
Ganz
sicher ist es auch erforderlich die Finanzierung der Ausbildung des Nachwuchses
zu stoppen, die mit 509 Mio. zu Buche schlägt und ausschließlich der
konfessionsgebundenen Klientel der Kirchen zugutekommt.
Zu den
Positionen mit dem höchsten Finanzbedarf gehören darüber hinaus Kindertageseinrichtungen
(3,915 Mrd.), der schulische Religionsunterricht (1,7 Mrd.) und die Konfessionsschulen
(2,264 Mrd.). Dieser Finanzbedarf bliebe wahrscheinlich in ähnlicher
Größenordnung bestehen, auch wenn der Staat, im Zuge einer umfassenden
Neuordnung, die Trägerschaft übernähme.
Allerdings
ließen sich, aus laizistischer Sicht, durch eine Reform wichtige
Fortschritte erzielen: Der konfessionelle Religionsunterricht an den
Schulen würde entfallen – wodurch
die Kirchen keineswegs daran gehindert wären, kirchenintern
auch weiterhin einen entsprechenden Unterricht für ihre
Klientel anzubieten. Als integrierter Bestandteil des Schulfachs Ethik könnte dann flächendeckend eine neutrale
Religionskunde eingeführt werden. In den Kindertagesstätten
und Konfessionsschulen entfielen endlich die arbeitsrechtlichen
Privilegien der Kirchen und,
was für die anzustrebende Entwicklung einer konsequent laizistisch
strukturierten Gesellschaft besonders wichtig wäre: Die Gefahr
für Kinder und
Jugendliche, religiös indoktriniert zu werden, wäre deutlich reduziert.
Grundsätzlich
kann m. E. abschließend festgestellt werden: Die völlig überzogene Finanzierung
bzw. Subventionierung der Kirchen muss dringend abgebaut werden. Es ist nicht
länger hinnehmbar, dass historisch gewachsene Verhältnisse unhinterfragt für alle Zeiten beibehalten werden. Das "System
der hinkenden Trennung von Staat und Kirchen", in dem letzteren "viel
Macht eingeräumt wird", wie der Theologe Friedrich Wilhelm Graf (*1948) es
einmal formulierte, muss nachhaltig reformiert werden. Graf fordert daher, zwar
sehr behutsam, aber dennoch unmissverständlich:
"Die
offene Gesellschaft muss um der gleichen Freiheit
aller willen Kirchenmacht wie die Macht anderer Verbände demokratisch
begrenzen, etwa durch Erzeugung von Öffentlichkeit."
Bedauerlicherweise
ist derzeit und bis auf weiteres keine tragfähige Mehrheit
für die Durchsetzung
entsprechender politischer Vorhaben absehbar. Dies umso weniger, als
sich um
den Kabinettstisch, der von Angela Merkel angeführten Regierung,
wohl mehrheitlich Ekklesia-Lobbyisten
gruppieren (s. Anmerkungen unten).
Es bleibt eine wichtige Aufgabe für alle konfessionsfreien
Demokraten in Deutschland, durch unbeirrt fortgesetzte Aufklärung für eine echte Trennung von Staat und Kirchen
einzutreten. Dann könnte vielleicht eines Tages sogar folgende Feststellung Johann Wolfgang von
Goethes (1749-1832) ihre Gültigkeit verlieren, deren geradezu erschreckende
Aktualität mich vor einiger Zeit überraschte:
"Die hohe reich dotierte Geistlichkeit fürchtet nichts mehr
als die Aufklärung der unteren Massen."
Anmerkungen
- Die
vom Theologen Friedrich Wilhelm Graf (*1948) geäußerten Gedanken wurden auf dieser Website schon mehrfach zitiert. Sie stammen aus
einem Beitrag in der FAZ vom 19. Mai 2009. – Weitergehende Äußerungen Grafs zur
Ausbildung des kirchlichen Nachwuchses an den theologischen Fakultäten, für ihn
ein "staatskirchenrechtlich geschütztes Theotop", finden sich hier.
- Das
Goethe-Zitat ist dem Violettbuch
Kirchenfinanzen entnommen.
- Von
der Website des Koordinierungsrates säkularer Organisationen (KORSO) lässt sich
ein Flyer mit dem Titel Jetzt reicht's!
Staatsleistungen an die Kirchen ablösen! herunterladen.
- Das folgende Foto zeigt das
Bundeskabinett, anlässlich der Überreichung der
Ernennungsurkunden durch Bundespräsident Gauck, nach der
Bundestagswahl 2013. Der Düsseldorfer Aufklärungsdienst, eine Regionalgruppe der Giordano Bruno Stiftung,
hatte dieses Foto seinerzeit mit Anmerkungen versehen, die auf die
weltanschauliche Orientierung der Kabinettsmitglieder schließen
lassen:
Nachtrag
(05. Februar 2014)
Den
vorausgehenden Text schickte ich kürzlich an einen der führenden Köpfe einer
Partei, die gerade dabei ist, sich "neu zu sortieren". Ich verband
dies mit der Anregung, das Thema strikte
Trennung von Staat und Kirchen bzw.
Stärkung des Laizismus in die inhaltliche Diskussion eines etwaigen neuen
Parteiprogramms einzubringen. Im Gegenzug erhielt ich vom Angeschriebenen eine
Mail, die einen Link zu einem von ihm vor einigen Jahren, in der FAZ, veröffentlichten Text
enthielt. Da ich diesem Text keine ganz eindeutige Haltung zum Thema Laizismus entnehmen
konnte, bat ich ihn um eine weitergehende Erläuterung. Daraufhin erhielt ich
von ihm eine kurze und sehr präzise Positionsbeschreibung:
"Ich bin gegen Laizismus.
Religionsunterricht in der Schule und Einzug der Kirchensteuer halte ich für
unproblematisch."
Ich hatte an meinen Vorstoß keine allzu
großen Erwartungen geknüpft, verhehle jedoch nicht, dass ich nach dieser Antwort
dennoch enttäuscht und ernüchtert war. Abgesehen davon, dass in der zitierten
Äußerung ein hohes Maß an Ignoranz sichtbar
wird, zeigt sich
hier einmal mehr, dass wohl viele Politiker
alles vermeiden, was den Widerstand mächtiger gesellschaftlicher
Institutionen
oder Gruppen hervorrufen könnte: Nicht das Aufbrechen verkrusteter
gesellschaftlicher Strukturen, zum Wohle aller, steht bei Ihnen im
Fokus,
sondern stets das egoistische, Klientel-orientierte Streben nach
Machtgewinn
und/oder Machterhalt. Ich gehe davon aus, dass dadurch bei immer mehr
Bürgern
und, mit Blick auf das hier angesprochene Thema, insbesondere innerhalb
der wachsenden
Gruppe der Konfessionsfreien, die häufig beklagte
"Politikverdrossenheit" weiter befeuert wird.
18.
August 2013
Zum ersten Mal
hier?
Vorbemerkungen
Heute habe ich diese Website
für Suchmaschinen geöffnet. Ihre Bearbeitung
erstreckte sich über mehrere Jahre und verlief nicht
kontinuierlich, vielmehr mit zahlreichen Unterbrechungen und, bezogen
auf einzelne Themen, mit unterschiedlich starker Motivation. Der
Menüpunkt Absolutheitsanspruch
enthält die frühesten, der Menüpunkt Neue Denkansätze?
die spätesten Ergebnisse
meiner Recherchen.
Jeder Leserin, jedem Leser wird
sofort auffallen, dass das Christentum mit
seinen "Geburtsfehlern", und die Kirchen mit ihrer
fragwürdigen Praxis, ihren "Gläubigen" in absurden
Dogmen
fixierte Glaubensinhalte zuzumuten, den weitaus
größten Teil dieser Website in Anspruch nehmen.
Demgegenüber ist der Raum, den der Versuch einnimmt,
mögliche alternative Geisteshaltungen für
"Ungläubige" aufzuzeigen, von minimalem Zuschnitt.
Die Erklärung
hierfür ist einfach: Meine ursprüngliche Absicht
war, das mir zunehmend unglaubwürdig
erscheinende Christentum zu "hinterfragen" und geeignete reformerische
Denkansätze als notwendige Voraussetzungen für
ein glaubwürdiges
Christentum
zu suchen. Mögliche Perspektiven
für "Ungläubige" hatte ich zu Beginn meiner privaten
Expedition überhaupt nicht im Blick. Die
gewählte
Struktur der Website ließe eine ähnlich
umfangreiche
Betrachtung dieses neuen Themas auch gar nicht zu.
Es war nicht abzusehen, dass ich
meine ursprüngliche Zielsetzung aufgeben
würde – um hier das wichtigste Ergebnis
meiner
Auseinandersetzung mit dem Christentum vorwegzunehmen. Es kommt hinzu,
dass
ich mich selbst noch in einer Phase der Neuorientierung befinde.
Dennoch wollte ich etwaige "Neue Denkansätze" für
"Ungläubige" zumindest kurz skizzieren.
Während der Bearbeitung
dieser Website habe ich von zahlreichen Autorinnen und Autoren
"abgeschrieben". An einen von ihnen muss ich am vorläufigen
Ende meiner Recherchen ganz besonders intensiv denken: an den
großen Theologen Franz
Overbeck (1837-1905). Nach jahrelanger
Beschäftigung mit dem Thema dieser Site verstehe ich, was er,
unter dem Datum des 12. Dezember 1900, in seinen Selbstbekenntnissen
über sein persönliches Verhältnis zum
Christentum festhielt (zitiert
in der Schreibweise des 19. Jahrhunderts):
"Meine 27jährige
Professur der Theologie in Basel hat keinen anderen Sinn gehabt, als
für mich das Christenthum als Problem so lange zu conserviren,
und ich bin denn auch, wie vielleicht bei diesem Verfahren nicht anders
möglich war, schließlich zu keiner für
Andere darstellbaren Lösung des Problems gekommen
[…], wohl aber, was mich betrifft, zu meiner
gründlichen Befreiung davon."
Natürlich sind die Zweifel,
die ich in den Vorbemerkungen
des Menüpunktes Warum dieser Internet-Auftritt?
erwähnte, nicht völlig gewichen. Inzwischen sehe ich
mich aber, außer von Joachim Kahl
(*1941), auch von anderen Autoren darin bestärkt, meine Kritik
am Christentum und seinen Kirchen dennoch zu
veröffentlichen.
Der Psychologe Franz Buggle
(1933-2011) beschreibt in seinem Buch Denn sie wissen nicht, was sie glauben
eine Verfahrensweise der Kirchen, mit deren Hilfe es ihnen immer noch
gelingt,
"…,
bei der ganz großen
Mehrzahl heutiger Menschen durch ihre umfassende, alles durchdringende,
zu einem großen Teil mit Steuermitteln finanzierte Strategie
[…] der Desinformation einen Zustand weitgehender
Uninformiertheit, ja man kann es so hart formulieren, der weitgehenden
Infantilisierung des religiösen Wissensstandes, auch bei sog.
»Gebildeten«, Intellektuellen oder Hochschullehrern
und Wissenschaftlern zu erzeugen."
Buggle
zählt zu den Einsatzfeldern dieser Strategie u. a. die
"weitestgehend staatlich finanzierten kirchlichen
Kindergärten", den "staatlich finanzierten
Religionsunterricht", die "staatlich finanzierten Theologischen
Fakultäten an deutschen Universitäten" und die
"öffentlich-rechtlichen Medien".
Früher hätte ich
den Buggleschen Vorwurf der "Strategie der Desinformation"
wahrscheinlich für übertrieben gehalten. Heute bin
ich anderer Meinung. Auf ein markantes Beispiel ihrer konkreten
Anwendung stieß ich im Internet bei der EKD.
Meine kritische Würdigung finden Sie hier.
Ein weiteres Beispiel für
den umfassenden Einsatz dieser kirchlichen Strategie fand ich in einer
Publikation der Evangelischen Zentralstelle für
Weltanschauungsfragen (EZW). Dort
wurde im Vorspann eines Beitrags die Äußerung eines
evangelischen Theologen auf dem in 2004 abgehaltenen
Ökumenischen Kirchentag in Berlin zitiert:
»Der Atheismus ist eine
kulturelle Form des Autismus, einer krankhaften
Ichbezogenheit.«
Jeder ehrliche "Gläubige",
der sich eine Menschlichkeit bewahrt hat, die sich nicht nur
gegenüber Angehörigen der eigenen Glaubensrichtung
zeigt, verdient allerhöchsten Respekt. Ein Theologe, der eine
solche Haltung vermissen lässt und Andersdenkende skrupellos
diffamiert, hat jeden Anspruch auf Respekt verloren.
Im Übrigen darf derart
platt argumentierenden Kirchenvertretern nicht die
Meinungsführerschaft in gesellschaftsbezogenen Fragen
überlassen werden.
Anmerkung
Bei der erwähnten Publikation handelt es sich
um die EZW-Texte 176/2004 mit
dem Titel Woran glaubt, wer nicht glaubt?. Das
daraus entnommene Zitat stammt aus dem Beitrag Was
diskutieren Atheisten? von Rudolf Ladwig, damals
geschäftsführendes Mitglied des Vorstandes des
Internationalen Bundes der Konfessionslosen und Atheisten e. V.
(IBKA).
Zahllose weitere Beispiele
ließen sich anfügen. Eine auf dieser Website schon
mehrfach zitierte Einschätzung des Theologen Hans
Conzelmann (1915-1989) bestätigt die
kirchliche "Strategie der Desinformation" nicht nur sehr
eindrucksvoll, sondern enthüllt zugleich klerikale
Existenzsicherung als zugrunde liegendes Motiv:
"Die Kirche lebt davon, dass die
Ergebnisse der wissenschaftlichen Leben-Jesu-Forschung in ihr nicht
publik sind."
Bei der konsequenten Umsetzung ihrer
Strategie ist den Kirchen, insbesondere der römischen,
offenbar jedes Mittel recht. Der katholische Theologe David
Berger (*1968), der von 2008-2011 im Vatikan
arbeitete, hat dies in der ZEIT vom 24. Mai 2012 aufgezeigt. Er
beschrieb dort, wie die Akteure im Vatikan-internen Intrigenspiel
gezielt Meinungsmache betreiben und welcher Hilfsmittel sie sich dabei
bedienen:
"So antimodern man sich sonst
positioniert, hat man doch die modernen Kommunikationsmittel von
Internet bis Shitstorm entdeckt. So steht ein
Heer williger Blogger bereit, strategisch wichtige Informationen im
Internet zu verbreiten."
Es wäre naiv anzunehmen,
dass der Vatikan die eben angesprochenen "Kommunikationsmittel" nicht
auch – gewohnt skrupellos – zur
Desinformation der Öffentlichkeit
einsetzte.
Ein Anliegen
dieser Website ist der Versuch, der unredlichen Informationspolitik der
Kirchen – und sei es nur in bescheidenem Umfang –
entgegenzuwirken. Darüber hinaus würde ich mich
freuen, wenn interessierte LeserInnen hier Anregungen für
weitergehende eigene Recherchen zum Thema
fänden.
Denn ich bin durchaus nicht sicher,
dass sich meine bisher gewonnenen Erkenntnisse und die daraus gezogenen
Schlussfolgerungen in jeder Hinsicht "auf der Höhe des
möglichen Wissens" befinden. Ich schließe auch nicht
aus, dass mir Vereinfachungen und gedankliche Kurz- oder
Fehlschlüsse
unterlaufen sind.
Der italienische Schriftsteller Stefano Guazzo
(1530-1593) lieferte mir für diesen Zusammenhang das passende
Stichwort:
"Die Diskussion ist das Sieb der
Wahrheit."
Daher würde ich mich
freuen, wenn mir interessierte Leserinnen und Leser ihre Kritik an den Inhalten
dieser Site mitteilten (hier).
Bedienhinweise
- Auf der Startseite
finden Sie rechts oben einen Link zu Aktuelles,
Nachgetragenes, Satirisches.
Es handelt sich dabei um so
etwas wie ein Weblog. In chronologischer Folge sind dort auf mehreren
Seiten Texte gesammelt, die direkt oder indirekt mit den auf dieser
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Einstiegsempfehlung
Mein Vorschlag ist, dass Sie
zunächst einen Blick auf folgende Seiten werfen:
Wer das Christentum kennt und sich
damit nicht mehr befassen möchte, der möge sich dann,
falls
interessiert, auf jene Teile der Hauptmenü-Seite Neue Denkansätze?
konzentrieren, die sich mit den möglichen Perspektiven
für "Ungläubige" befassen.
04. Juni 2013
"Atheistische Poesie" vom Feuerbachianer Gottfried
Keller
Ich
beschäftige mich derzeit mit dem "Atheismus", einer
möglichen Denkungsart und Lebensform für
"Ungläubige". Zwangsläufig
stieß ich dabei auf den Philosophen und Atheisten Ludwig
Feuerbach (1804-1872).
Sein religionskritisches Werk Das Wesen
des Christentums war und ist wegweisend. Bei Joachim Kahl
(*1941),
ebenfalls Philosoph und Atheist, fand ich folgende Würdigung
der
geistesgeschichtlichen und bewusstseinsprägenden
Langzeitwirkung Feuerbachs:
"Er
hat einen bleibenden, weil zutreffenden Beitrag geleistet zur
Entzifferung und Entzauberung von Religion, zur Erklärung und
Kritik religiösen
Bewusstseins als eines verkehrten Weltbewusstseins und damit einen
Beitrag
geliefert zur theoretischen Begründung eines
säkularen und laizistischen
Humanismus."
Im
Rahmen meiner Recherchen stieß ich bei Kahl auch auf
Informationen
über die unmittelbare Wirkung Feuerbachs auf Leben
und Werk des großen Schweizer
Dichters Gottfried
Keller (1819-1890). Ich finde sie so
bemerkenswert, dass ich
sie hier besonders erwähnen möchte. Im Winter 1848/49
hörte Keller
Vorlesungen Feuerbachs
in Heidelberg und traf sich mit ihm, wohl mehrfach, auch zu
persönlichem
Gedankenaustausch. Unter dem Eindruck der Weltsicht Feuerbachs schrieb Keller
in einem Brief:
"Wie
trivial erscheint mir
gegenwärtig die Meinung, dass mit dem Aufgeben der sogenannten
religiösen Ideen
alle Poesie und erhöhte Stimmung aus der Welt verschwinde! Im
Gegenteil! Die
Welt ist mir unendlich schöner und tiefer geworden, das Leben
ist wertvoller
und intensiver, der Tod ernster, bedenklicher und fordert mich nun erst
mit
aller Macht auf, meine Aufgabe zu erfüllen und mein
Bewusstsein zu reinigen und
zu befriedigen, da ich keine Aussicht habe, das Versäumte in
irgendeinem Winkel
der Welt nachzuholen."
Darüber
hinaus spiegelt sich das veränderte Bewusstsein Kellers auch in
seinem Werk, insbesondere in seiner Lyrik. Joachim Kahl
interpretiert
in dem mir vorliegenden Text drei Gedichte, von denen ich hier das
folgende,
das aus dem Jahr 1849 stammt, zitiere:
Ich
hab' in
kalten Wintertagen
Ich
hab' in
kalten Wintertagen,
In dunkler, hoffnungsarmer Zeit
Ganz aus dem Sinne dich geschlagen,
O Trugbild der Unsterblichkeit.
Nun,
da der
Sommer glüht und glänzet,
Nun seh' ich, dass ich wohlgetan!
Aufs neu hab ich das Haupt bekränzet,
Im Grabe aber ruht der Wahn.
Ich
fahre auf
dem klaren Strome,
Er rinnt mir kühlend durch die Hand,
Ich schau' hinauf zum blauen Dome
Und such – kein bessres Vaterland.
Nun
erst versteh'
ich, die da blühet,
O Lilie, deinen stillen Gruß:
Ich weiß, wie sehr das Herz auch glühet,
Dass ich wie du vergehen muss!
Seid
mir
gegrüßt, ihr holden Rosen,
In eures Dasein flücht’gem Glück!
Ich wende mich vom Schrankenlosen
Zu eurer Anmut froh zurück!
Zu
glüh'n, zu
blüh'n und ganz zu leben,
Das lehret euer Duft und Schein,
Und willig dann sich hinzugeben
Dem ewigen Nimmerwiedersein!
In
einer anderen Quelle gab
Joachim Kahl seiner "philosophischen
Meditation" über das oben zitierte Gedicht die
Überschrift "Freude am
Leben – Einverständnis mit dem Tod". Treffender
ließe sich die
Grundaussage dieses Gedichts bzw. des in Gedichtform gefassten
persönlichen
Bekenntnisses Kellers
nicht beschreiben.
Anmerkungen
Die
oben zitierten Textstellen stammen aus folgenden Quellen:
- http://www.kahl-marburg.privat.t-online.de/keller.pdf
14.
März 2013
»Habemus
Papam« – Sensationelles aus den
Vatikan-Laboratorien
Gestern
ging der Bericht von einer sensationellen wissenschaftlichen Leistung
um die
Welt: Einer Expertengruppe von 115 hochspezialisierten Saurierforschern
des
Vatikans ist es gelungen – nach 8 Jahren erstmals wieder
– Sauriernachwuchs zu
reproduzieren. Wie allgemein bekannt, besitzt der Vatikan eine der
größten
Sammlungen von Sauriereiern und den umfangreichsten Genpool seltener
Saurier-DNA.
Die Expertengruppe hatte sich von Fehlschlägen nicht
entmutigen lassen. Durch die Auswahl vielversprechender
Ausgangsmaterialien von
den berühmten Saurierfundstätten Argentiniens, sowie
durch
eine Verschärfung der strengen
Quarantänebedingungen in den
hochmodernen
Vatikan-Laboratorien gelang schließlich das schier
Unglaubliche.
Nachdem
durchgesickert war, dass sich der langersehnte Erfolg am 13.
März 2013
einstellen könnte, hatten sich Hunderttausende von
Saurierfreunden aus aller
Welt auf dem ausgedehnten Platz vor dem vatikanischen Zentrallabor
versammelt.
Sie warteten auf ein Zeichen. Die Saurier-Experten
pflegen
nämlich, anlässlich besonderer Ereignisse, eine
charmante altmodische Marotte,
eine Übung aus der Frühzeit ihrer Wissenschaft: Sie
geben die Ergebnisse ihrer
Experimente durch Rauchzeichen über ein
altertümliches Ofenrohr auf dem Dach
ihres Allerheiligsten bekannt. Weißer Rauch signalisierte den
gespannt Wartenden
den bahnbrechenden Erfolg.
Nach
Aufhebung der Quarantäne trat der Protodekan der am Erfolg
beteiligten Wissenschaftler
vor die Öffentlichkeit und präsentierte den
begeisterten Saurier-Enthusiasten
das niedliche Neugeborene. Eine erste Untersuchung hatte ergeben, dass
es sich,
mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, um einen kleineren
Verwandten
des pflanzenfressenden Apatosaurus handelte. Da nicht
vorhergesagt werden konnte, zu welcher Saurierart das Neugeborene
gehören würde,
waren natürlich alle sehr erleichtert. Es hätte ja
durchaus ein weniger
possierliches Geschöpf das Licht der Welt erblicken
können …
Noch
sind sich die Experten nicht völlig sicher, ob die Aufzucht
des kleinen Franz
–
diesen Namen trägt er seit dem
Schlüpfen – gelingen wird. Dennoch wird in
allen Teilen
der weltumspannenden Organisation der Saurier-Fanclubs
erst einmal ausgelassen gefeiert.
17.
Februar 2013
Papstrücktritt:
Kanzlerin Angela Merkel tief betroffen
Am
vergangenen Montag gab Joseph
Aloisius Ratzinger (*1927) seinen
Rücktritt zum 28. Februar 2013 bekannt. In
den Fernseh-Nachrichten äußerten sich verschiedene
Prominente dazu. Auch Angela
Merkel (*1954) trat vor die Kameras: Tief
betroffen verlas sie ihre Stellungnahme. Ich traute meinen
Ohren nicht! Da nur ein kleiner Ausschnitt gesendet worden war, las ich
ihren
vollständigen Text später im Internet nach. Da fand
ich dann den Satz, bei dem
ich glaubte, mich verhört zu haben:
"Benedikt XVI. ist und bleibt einer
der bedeutendsten
religiösen Denker unserer Zeit. Seine Bücher werden
noch lange Menschen in
ihren Bann ziehen."
Aber
ich las auch Sätze, wie diese, mit denen sich unsere Kanzlerin
nun endgültig
als Ratzinger-Fan outete:
"Unvergessen
bleibt mir die Ansprache, die der Papst im
September 2011 vor dem Deutschen Bundestag hielt. […] Es war
eine Sternstunde
unseres Parlaments, und die Worte des Papstes werden mich
persönlich noch lange
begleiten."
Ich fragte mich, wer oder was die
Kanzlerin, Tochter eines protestantischen Theologen, zu diesen tiefen
Einsichten
verholfen hatte. Mehrere Möglichkeiten erschienen mir
vorstellbar:
Vielleicht
…
hatte Angela Merkel den Katechismus der Katholischen Kirche (KKK) gelesen, jenes
grandiose Werk, das alle unüberbietbaren
Wahr- und Weisheiten der
hochheiligen
»Una Sancta«
enthält.
Es ist seit 1992 in einer
überarbeiteten Neuauflage auf dem religiösen
Markt. Seinerzeit war Joseph Aloisius Ratzinger, als Chef der
römischen
"Glaubenskongregation" – Nachfolgerin der blutbesudelten
vatikanischen
Inquisitionsbehörde – für den Inhalt
verantwortlich. Vielleicht hatte die
Kanzlerin dabei, von den (Jesus-)Büchern
Ratzingers "in ihren Bann" gezogen, u. a. jene archaischen
Glaubensfantasien über "Christus, den Richter
der Lebenden und der Toten" verinnerlicht, wie sie
– unnachahmlich und letztgültig – in
folgenden Artikeln zum
Ausdruck kommen:
1051
In
seiner unsterblichen Seele erhält jeder
Mensch gleich nach dem Tod durch Christus, den Richter der Lebenden und
der
Toten, in einem besonderen Gericht seine ewige Vergeltung.
[…]
1056
Dem
Beispiel Christi folgend macht die Kirche die Gläubigen auf
die
„traurige, beklagenswerte Wirklichkeit des ewigen
Todes“ (DCG
69) aufmerksam, die man auch „Hölle“ nennt.
[…]
1059 „Die
hochheilige Römische
Kirche glaubt fest und behauptet fest, dass … am Tage des
Gerichtes
alle
Menschen mit ihren Leibern vor dem Richterstuhl Christi erscheinen
werden, um
über ihre Taten Rechenschaft abzulegen“ (DS 859)
[Vgl. DS 1549].
Es
könnte also sein, dass u. a. diese extraordinären
KKK-Artikel für die Kanzlerin nicht nur unwiderlegbare
Beweise "für seine tiefe
Bildung" –
die sie ihm in ihrer Stellungnahme ja auch
bescheinigte –
waren, sondern sie davon überzeugten, dass Joseph Aloisius
Ratzinger "einer
der
bedeutendsten religiösen Denker unserer Zeit" ist und
bleibt.
Vielleicht
…
war es ganz anders: Es könnte ja sein, dass Matthias Matussek
(*1954) Merkels Stellungnahme schrieb. Dann wäre
es diesem glühenden Verehrer seines "heiligen Vaters" und
unermüdlichen Vatikan-Lobbyisten gelungen,
der Kanzlerin, von ihr selbst unbemerkt, eine raffinierte
Schleichwerbung für den Römer unterzuschieben
–
für Matussek, Dauergast in diversen Talk-Shows,
sicher eine der leichteren Übungen.
Vielleicht
…
wurde Angela Merkel
schlicht von "Autoritätsdusel" (Albert Einstein / s. hier, rechte Spalte oben) heimgesucht
und überwältigt.
Vielleicht
…
hat sie aber auch nur die falschen
Bücher
gelesen. Hätte sie einen kurzen Blick in das Buch Glaube ohne Denkverbote
des
katholischen Theologen Gotthold
Hasenhüttl (*1933) geworfen, dann
wäre ihr
vielleicht ein Licht aufgegangen. Dabei hätte sie gar nicht
sehr weit blättern
müssen, denn schon in der Einführung
zitiert Hasenhüttl einen denkwürdigen Satz
des "Stellvertreters Gottes auf Erden":
»Die
Wahrheit ist die
Grenze des Mitgefühls.«
Und
sie hätte dann auch den Kommentar
Hasenhüttls lesen können, der die Haltung Ratzingers
als zutiefst menschenverachtend entlarvt:
"Der
Mensch wird der vermeintlichen »göttlichen
Wahrheit«
geopfert."
Spätestens
hier hätte die Kanzlerin merken können, dass
Joseph Aloisius Ratzinger
nicht nur ein Großmeister theologischer Fabulier- und Deutungskunst ist, sondern alle
Symptome dogmatischer Verblendung im Endstadium zeigt.
Mit
dieser Diagnose im Hinterkopf
hätte sie sich vielleicht ganz
nüchtern Ratzingers
Fehlleistungen im Amt vergegenwärtigt,
und
ihre Stellungnahme wäre vielleicht, …,
vielleicht ganz
anders ausgefallen:
'Liebe
Mitbürgerinnen und Mitbürger,
heute ist ein guter Tag!
Joseph Aloisius Ratzinger, der nichts für die
Gleichstellung der Frauen in seiner Kirche tat, der viel
zu wenig
unternahm, um den weltweiten, von
sozial und
moralisch verwahrlosten Priestern verursachten, Missbrauchsskandal
aufzuklären und der Kardinäle und Bischöfe,
die die
Missbräuche zu vertuschen versuchten, wenn überhaupt, nur zögerlich zur Rechenschaft
zog und der, was noch viel schwerer
wiegt, für das Leid
der Missbrauchsopfer kein großes Interesse
zeigte, der
seinen "Gläubigen" in AIDS-verseuchten
Gebieten der Erde die Verwendung von Kondomen verbot, der die
Homosexualität verteufelte,
der nicht im Entferntesten daran dachte, in seiner Kirche demokratische
Strukturen
einzuführen – um nur einige seiner Fehlleistungen zu
nennen –, hat heute
seinen baldigen Abschied vom Papstamt angekündigt.
Das
ist seit langem die beste Nachricht aus dem Vatikan!
Ich gehe noch weiter: Das ist das
Beste, was Joseph Aloisius Ratzinger jemals gesagt oder getan
hat!!
Im
Namen des deutschen Volkes danke ich ihm von ganzem Herzen!!!'
Nachtrag
Wie mehrere Agenturen übereinstimmend
meldeten, sprachen sich prominente Persönlichkeiten
dafür aus, Ratzinger (*1927) den Literaturnobelpreis zu
verleihen. Demnach bekäme er die
Auszeichnung für
sein Lebenswerk als "bedeutendster Fantasy-Autor unserer
Zeit". Wie darüber hinaus verlautete, werden der
bisher als Topfavoritin
gehandelten Harry Potter-Schöpferin Joanne K.
Rowling (*1965) nunmehr nur noch geringe Chancen
eingeräumt.
09.
Dezember 2012
Glaubensmeinung
eines frommen Politikers (Wolfgang Thierse)
DIE
ZEIT veröffentlichte am 29. November 2012 in ihrer
Rubrik GLAUBEN & ZWEIFELN ein Interview mit dem katholischen
SPD-Politiker Wolfgang Thierse
(*1943). Der Text trug die Überschrift Ohne Glauben
ist kein Staat zu machen – Warum wir
auf Religion nicht verzichten können. Ein
Streitgespräch mit dem Bundestagsvizepräsidenten
Wolfgang Thierse.
Das, was Thierse, gänzlich
ungebremst, über Religion und Glauben von sich gegeben hatte,
löste nicht nur Verwunderung bei mir aus, sondern weckte
meinen heftigen Widerspruch: Ich sah mich nicht in der Lage einfach und
kommentarlos zur Tagesordnung überzugehen, ohne Stellung zu
beziehen. Einem Mann, der in unserem Gemeinwesen ja nicht ohne Einfluss
ist, und der sich selbst, wie mir scheint, gern als
Intellektueller gibt, kann man m. E. den krass zu Tage
tretenden Mangel an intellektueller Redlichkeit und seine unglaubliche
Chuzpe nicht einfach durchgehen lassen.
Im Zusammenhang mit der Frage nach
dem "weltweit erstarkenden religiösen Fundamentalismus" macht
Thierse deutlich, dass er "empört" sei, "wenn Religion von
Islamisten missbraucht wird zur Begründung von Gewalt". Nach
dem Zugeständnis, dass es, außer "im Islam", auch
"bei den Evangelikalen" Fundamentalismus gebe – die
katholische Kirche, die größte "fundamentalistisch
orientierte Institution" (Gotthold Hasenhüttl),
verschweigt er geflissentlich –, verweist er "auf eine Art
atheistischen Fundamentalismus" und stellt dazu unvermittelt fest: "Der
gegenwärtige Streit über die Beschneidung bringt
jedenfalls eine beträchtliche antireligiöse Militanz
an den Tag."
Auf den zaghaften Einspruch der
ZEIT-RedakteurInnen "Militant sind die Beschneidungsgegner eigentlich
nicht. Manche sind vielleicht ignorant" entgegnete Thierse:
"Es mehren sich aber die Stimmen
derer, die aus dem weltanschaulich neutralen Staat einen parteiischen
Staat der Religionslosen und der Laizisten machen wollen. Das halte ich
für falsch. Da bin ich überempfindlich, denn das habe
ich alles schon erlebt. In der DDR gab es keinen Religionsunterricht in
den Schulen, keine Militärseelsorge, keine
öffentlichen Bekenntnisse. Und siehe da, das Ding ging unter.
Tatsache ist, Religionslosigkeit kann gefährlich sein. Denken
sie nur an die schlimmsten religionslosen Verbrecher des 20.
Jahrhunderts: Stalin, Hitler, Mao Zedong, Pol Pot."
Ich rieb mir verwundert die Augen,
als ich las, wie Thierse den Untergang der DDR
begründet: "keinen Religionsunterricht in den Schulen, keine
Militärseelsorge etc." kurz: Die DDR-Diktatur wurde Opfer
ihrer Religionslosigkeit!
Jedes Kind weiß heute,
dass die DDR-Diktatur untergegangen ist, weil sich die politische
Großwetterlage jenseits des "Eisernen Vorhangs" dramatisch
verändert hatte und weil sie, eingebunden in das nihilistische
Sowjetsystem, nach dem Motto agierte: Die Ideologie ist alles, der
Mensch ist nichts! Ein veraltetes und unproduktives, kurz vor dem
Zusammenbruch stehendes, Wirtschaftssystem tat sein Übriges.
Das waren 1989 jene Rahmenbedingungen für den letzten
entscheidenden Beitrag zum Untergang der DDR: Die friedliche Revolution
mutiger Bürger, die vermutlich in ihrer Mehrheit religionslos,
in ihrer Gesamtheit aber ethischen und demokratischen Werten
verpflichtet waren.
Im Zusammenhang mit dem Untergang
der DDR betont Thierse, "Tatsache ist, Religionslosigkeit kann
gefährlich sein" und verweist auf die "schlimmsten
religionslosen Verbrechen des 20. Jahrhunderts". Eine derart einseitige
Auffassung von Religionslosigkeit und eine derart dreiste
Geschichtsklitterung waren mir bis dahin nicht untergekommen.
Die totalitären Systeme Stalins,
Hitlers, Mao
Zedongs und Pol Pots basierten auf dogmatisch
strukturierten Ideologien, die durchaus Ähnlichkeiten mit
Religionen aufwiesen, z. B. mit dem organisierten Christentum. Sowohl
die verbrecherischen Systeme des 20. Jahrhunderts als auch das
Christentum haben ihren Ideologien eine jede menschliche
Vorstellungskraft übersteigende Zahl von Menschenleben
geopfert. Das Christentum (früherer Jahrhunderte) hat
für eine vergleichbare Größenordnung von
Opfern lediglich mehr Zeit gebraucht als die diktatorischen Regime des
20. Jahrhunderts mit ihren modernen Tötungswerkzeugen.
Um es ganz klar zu sagen: Diese
verbrecherischen Systeme waren religionslos, vor allem aber
missachteten sie elementare Werte wie
Menschenwürde und Menschenrechte oder anders
ausgedrückt: Sie praktizierten puren Nihilismus.
Und diese Geisteshaltung tritt alle anerkannten ethischen und
demokratischen Werte mit Füßen!
Die Geschichte hat gezeigt,
insbesondere im 20. Jahrhundert, dass menschenverachtende Systeme der
o. g. Art nicht dauerhaft bestehen können.
Anmerkung
Ich vermute, dass es dem heutigen chinesischen System
eines Tages nicht anders ergehen wird. Durch seine kompromisslose
Hinwendung zum kapitalistischen Wirtschaftsmodell wird es aber
möglicherweise länger bestehen als die oben
erwähnten Systeme, da die engen Wirtschaftsverflechtungen mit
der restlichen Welt zweifelsohne zu seiner (vorläufigen)
Stabilisierung beitragen.
Thierse ist offenbar davon
überzeugt, dass Religionslosigkeit gleichzusetzen sei mit
totaler Abwesenheit von Werten. Und diese gedachte Kombination setzt
er, zumindest implizit, gleich mit dem Atheismus
bzw. einem "atheistischen Fundamentalismus".
Demgegenüber gilt ebenso
klar: Religionslosigkeit ist nicht gleichzusetzen
mit der Missachtung von Werten. Von den
(Früh-)Aufklärern Jean
Meslier (1664-1729) und Thiry Baron d'Holbach (1723-1789)
über Ludwig Feuerbach (1804-1872) bis
hin zu Zeitgenossen wie z. B. Herbert Schnädelbach
(*1936) und André Comte-Sponville
(*1952) ist der Atheismus eine Geisteshaltung, die Religionslosigkeit
mit einem klaren Bekenntnis zu Werten verbindet. Die zwei
Hauptbestandteile dieses Atheismus sind Rationalismus und Humanismus.
Nur Ignoranten setzen ihn mit Nihilismus gleich!
Den von Thierse gehegten, mit Hilfe
der ZEIT
verbreiteten, Vorurteilen halte ich ein Wort des französischen
Frühaufklärers Pierre
Bayle (1647-1706) entgegen:
"Wenn ein Atheist tugendhaft lebt,
ist das nicht seltsamer, als wenn ein Christ sich zu allerhand
Verbrechen hinreißen lässt."
Anmerkung
Ich fand das Bayle-Zitat bei André
Comte-Sponville (*1952).
Nach einem weiteren, vorsichtig
kritischen, Einwurf der RedakteurInnen, "dass auch Religion ins
Totalitäre ausarten kann, dass Religion zuweilen politische
Ansprüche stellt, die der demokratische Staat
zurückweisen muss", bemüht Thierse, ohne konkret auf
den Einwurf zu reagieren, nochmals den "weltanschaulich neutralen
Staat":
"Das ist ja das
Großartige unseres Grundgesetzes, wir leben in einem
weltanschaulich neutralen Staat. Aber das heißt nicht, dass
dieser Staat Partei ergreifen darf für Areligiosität,
Laizismus, Atheismus. Nein! Er lädt alle Bürger ein,
aus ihren unterschiedlichen persönlichen
Überzeugungen heraus am Gemeinwohl mitzuwirken."
Auch hier zeigt Thierses Sicht
deutliche Symptome angelegter Scheuklappen. Tatsache ist, dass sich die
Protagonisten dieses Staates zwar gegenüber
"Areligiosität, Laizismus, Atheismus" neutral oder tendenziell
eher feindlich verhalten, aber, kaum verschleiert, "Partei ergreifen"
für das organisierte Christentum, insbesondere für
die katholische und die evangelischen Kirchen. Die vielen,
staatskirchenrechtlich geschützten Privilegien, z. B. die den
Kirchen zugestandene Einschränkung von Arbeitnehmerrechten in
ihren Einrichtungen, die unglaublich üppige finanzielle
Ausstattung der Kirchen durch Steuermittel, über die
Kirchensteuer hinaus, die Möglichkeit zur Einflussnahme in den
Rundfunkräten etc. bestätigen dies
eindrücklich.
Diese Situation wird selbst von
Theologen kritisiert. Der protestantische Theologe Friedrich Wilhelm Graf (*1948)
äußerte sich in einem Beitrag in der FAZ, vom 19.
Mai 2009, unmissverständlich:
"Im System der hinkenden Trennung
von Staat und Kirchen wird diesen viel Macht eingeräumt. Nicht
wenige deutsche Kirchenführer machen davon gern Gebrauch."
Und seine daraus abgeleitete
Forderung an den "weltanschaulich neutralen Staat" ist ebenso
unmissverständlich:
"Die offene Gesellschaft muss um
der gleichen Freiheit aller willen Kirchenmacht wie die Macht anderer
Verbände demokratisch begrenzen, etwa durch Erzeugung von
Öffentlichkeit."
Ich gehe noch weiter und
plädiere für eine Abschaffung sämtlicher
Kirchen-Privilegien.
Thierse hat ein Buch
veröffentlicht mit dem Titel Religion ist keine
Privatsache. Daher lag folgende Frage der
ZEIT-RedakteurInnen nahe: "Soll man mit Religion Politik machen?"
Thierse vermied wieder eine direkte Antwort – auch ein
frommer Politiker kennt Tricks –, sondern formulierte die
gestellte Frage um: "Ist Religion überhaupt Privatsache?"
darauf gab er dann folgende Antwort:
"Ja und zweimal NEIN. Ja, weil der
Glaube des Einzelnen seine persönliche Sache ist und nicht vom
Staat diktiert werden darf. Nein, weil Religion, zumal christlicher
Glaube, nicht bloß das Fürwahrhalten von
Glaubenssätzen ist, sondern auch Einweisung in ein gutes und
sinnvolles Leben, in soziale Praxis und damit auch in Politik. Und noch
mal Nein, weil die Gesellschaft vom Engagement der Bürger
lebt, die aus ihren starken Überzeugungen heraus handeln, die
über den eigenen Egoismus hinaus auf das Gemeinwohl zielen. Da
sind Religionen geradezu unersetzlich."
Auf die nachfolgende Frage "Also
ohne Gott gibt es keine Barmherzigkeit und keine Moral?" antwortete
Thierse:
"Die freiheitliche Gesellschaft
ist fundamental darauf angewiesen, dass es in ihr verbindende Normen,
gemeinsame Maßstäbe und eine Vorstellung von
Freiheit, Solidarität, Gerechtigkeit, Menschenwürde
und Toleranz gibt. Doch diese Gemeinsamkeiten entstehen nicht von
allein. Sie werden von Weltanschauungsgemeinschaften wie den Religionen
tradiert und lebendig erhalten."
Nachdem Thierse dem sog.
"weltanschaulich neutralen Staat" seine besondere Verehrung bezeugt
hat, kommt er nun also aus der Deckung: Für ihn ist
"christlicher Glaube nicht bloß das Fürwahrhalten
von Glaubenssätzen, sondern auch Einweisung in ein gutes und
sinnvolles Leben, in soziale Praxis und damit auch in Politik." Damit
noch nicht genug: Er ist davon überzeugt, dass Religionen
"verbindende Normen, gemeinsame Maßstäbe und eine
Vorstellung von Freiheit, Solidarität, Gerechtigkeit,
Menschenwürde und Toleranz" tradieren – starker
Tobak!
Wenn Menschen für sich
entdecken, dass sie mit ihrem (christlichen) Glauben ein sinnvolles
Leben führen können, dann bleibt ihnen das
unbenommen. Wenn Thierse hier als Politiker seine eigene
Glaubensmeinung zum Besten gibt, Religionen seien in diesem
Zusammenhang "geradezu unersetzlich", Religionen wiesen den Weg in "ein
gutes und sinnvolles Leben" ohne relativierend hinzuzufügen,
dass es auch andere Wege zu einem sinnerfüllten Leben gibt
– ebenfalls starker Tobak!
Thierse hat von der Geschichte des
Christentums offenkundig keinen blassen Schimmer, sonst wüsste
er, dass die von interessengesteuerten frommen oder weniger frommen
Christen, frommen oder weniger frommen Politikern, frommen oder weniger
frommen Medienleuten häufig und gänzlich unkritisch
im Munde geführten sog. "christlichen" Werte von ihrem
Ursprung her gar nicht christlich sind. Sie stammen vielmehr aus der
Tradition der jüdischen Religion und aus der Geisteswelt der
griechischen Antike. Was aber noch viel wichtiger ist: Das organisierte
Christentum bzw. seine Hierarchen haben die sog. "christlichen" Werte
mehr als eineinhalb Jahrtausende mit Füssen getreten. Das hat
kaum einer besser zum Ausdruck gebracht, als Der Arzt und Theologe Albert Schweitzer (1875-1965):
"Das Christentum bedarf des
Denkens, um zum Bewusstsein seiner selbst zu gelangen. Jahrhunderte
lang hatte es das Gebot der Liebe und der Barmherzigkeit als
überlieferte Wahrheit in sich getragen, ohne sich auf Grund
desselben gegen die Sklaverei, die Hexenverbrennung, die Folter und so
viele andere antike und mittelalterliche Unmenschlichkeiten
aufzulehnen. Erst als es den Einfluss des Denkens des
Aufklärungszeitalters erfuhr, kam es dazu, den Kampf um die
Menschlichkeit zu unternehmen. Diese Erinnerung sollte es für
immer vor jeglicher Überhebung dem Denken gegenüber
bewahren."
Das organisierte Christentum hat
also erst im Zeitalter der Aufklärung damit begonnen, den sog.
"christlichen" Werten schrittweise mehr Gewicht einzuräumen,
sie gewissermaßen zu adoptieren. Bei genauerem Hinsehen
lässt sich feststellen, dass der von Thierse u. a. erwähnte
Wert der "Toleranz" nicht nur im Islam, sondern auch
vom Christentum, selbst heute noch eher als ungeliebtes Stiefkind
behandelt wird. Tatsache ist, dass heute vor allem der moderne
Rechtsstaat, ethischen (inkl. "christlichen") und demokratischen Werten
Geltung verschafft!
Wenn man dem Philosophen Herbert Schnädelbach
(*1936) folgt, dann leisten das Christentum bzw. seine Kirchen heute
ohnehin keinen spezifisch "christlichen" Beitrag mehr zum
gesellschaftlichen Leben:
"In Wahrheit haben die Kirchen
nichts spezifisch Christliches mehr zu sagen. Das Christentum hat
unsere Kultur auch positiv geprägt, das ist wahr, wenn auch
seine kulturelle Gesamtbilanz insgesamt verheerend ausfällt;
seine positiv prägenden Kräfte haben sich
erschöpft oder sind übergegangen in die Energien
eines profanen Humanismus."
Anmerkung
Das Zitat stammt aus Schnädelbachs Aufsatz
"Der Fluch des Christentums" in der ZEIT vom 11. Mai 2000.
Thierse hat im Laufe des Interviews
noch an einigen anderen Stellen seinen persönlichen
Standpunkt, den "weltanschaulich neutralen Staat" betreffend,
enthüllt und abschließend nochmals
bekräftigt:
"Gerade der säkulare
Staat muss ein vitales Lebensinteresse daran haben, dass die
religiösen Werte weitergetragen werden, die den
natürlichen Egoismus des Einzelnen übersteigen."
Mein
persönliches Fazit
Ohne Glauben ist sehr wohl
Staat zu machen! Thierse, ein Politiker mit
Führungsverantwortung in unserem vorgeblich "weltanschaulich
neutralen Staat", beschreibt nicht nur diesen Staat nicht
korrekt, sondern ebenso historische und andere Gegebenheiten,
offenkundig aufgrund einer religiös-konfessionell verzerrten
Sichtweise. Der Titel seines Buches, Religion ist keine
Privatsache, verwundert also nicht.
Als konfessionell, zumal katholisch,
gebundener Mensch sieht er sich einer absoluten, dogmatisch ein
für alle Mal fixierten, (göttlichen) Wahrheit
verpflichtet. Die damit einhergehende, vom Betroffenen im allg. nicht
als solche wahrgenommene, dogmatische Verblendung führt nicht
nur zu einer Immunisierung gegenüber dem Einfluss abweichender
Positionen, sondern auch zu einem, vom Betroffenen ebenfalls nicht
wahrgenommenen, Verlust an intellektueller Redlichkeit. Und was fast
noch schwerer wiegt: Gegenüber der geglaubten "absoluten
Wahrheit" verblasst, von den Betroffenen gleichfalls nicht bemerkt, ein
hoher, auch als "christlich" geltender Wert: die Wahrhaftigkeit.
Die Art und Weise, wie Thierse seine
persönliche Glaubensmeinung vertritt, bestätigt
einmal mehr, dass gläubige Christen durchaus ohne
ein "intellektuelles Gewissen" (s. Helmut
Groos) auskommen.
28. Mai
2012
Katholische
»Laien« im Würgegriff klerikaler Despoten
Meine Tageszeitung von heute
berichtet unter der Überschrift "Resignation oder Aufbegehren"
über den gestern zu Ende gegangenen Katholikentag. Dieses
Treffen katholischer »Laien« fand vom 16. bis 20.
Mai in Mannheim statt. Das Motto dieses alle zwei Jahre über
die Bühne gehenden Ereignisses lautete »Einen neuen
Aufbruch wagen«. Im Untertitel des Zeitungsberichtes findet
sich eine Feststellung, die ich als eine mögliche
Begründung dieses Mottos verstehe: "Viele Katholiken leiden an
ihrer Kirche und ihren Führern". Noch treffender finde ich
eine andere Begründung, die man in unterschiedlichen
Variationen immer wieder hören und lesen kann: Die kirchliche
Lehre hat mit der Lebenswirklichkeit vieler Mitglieder der
römischen Konfession nichts mehr zu tun.
Das von den Organisatoren
ausgewählte Motto gleicht wohl eher dem
sprichwörtlichen 'Pfeifen im Walde', wenn die
Einschätzung des Artikelschreibers zutrifft, der die
pessimistische Grundhaltung der meisten Teilnehmer schon eingangs so
charakterisiert: "Mit einem Aufbruch hatte beim Katholikentag wohl
niemand ernsthaft gerechnet." Und durch ein kurz darauf
vorweggenommenes Resümee aus dem Munde eines prominenten
Besuchers des Katholikentages lässt sich die eingetretene
Ernüchterung nachempfinden: "Es blieb bei leeren
Aufbruch-Floskeln, wie es Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU)
stellvertretend für viele auf den Punkt brachte."
Das Unbehagen der (wenigen)
reformorientierten und reformwilligen Gläubigen der
römischen Konfession wird gespeist von gravierenden
"innerkirchlichen Problemen", die nicht zuletzt auch den
"gesellschaftlichen Einfluss" der römischen Kirche mindern.
Dies wird im Zeitungstext unterstrichen durch einen Hinweis auf die
Position eines namhaften Sozialethikers: "Den Sozialethiker und
Jesuiten Friedhelm Hengsbach wundert das nicht. Mit ihrem
Demokratiedefizit, der fehlenden Gleichstellung von Frauen und dem nur
zum Teil aufgearbeiteten Missbrauchsskandal könne sich die
katholische Kirche »nur noch sehr zaghaft aus dem Fenster
lehnen«".
Vielleicht sind gerade diese
Umstände dafür verantwortlich, dass sich die
führenden Kleriker der römischen Konfession umso
verzweifelter an ihre klerikale Macht klammern und sie ungehemmt gegen
alle Reformbestrebungen ihrer 'Schäfchen' einsetzen. Das hat
natürlich auch damit zu tun, dass nur
autoritätsgläubige, traditionsgebundene, d. h.
linientreue Priester vom Vatikan die Bischofs- und
Kardinalswürde erhalten. Die Folge ist, dass es selbst moderat
einsichtige Kirchenführer nicht wagen, sich aufzulehnen. Im
Zeitungsartikel liest sich das so: "Die konservativen
Kirchenführer bunkern sich ein und werfen den Kritikern
Gottlosigkeit vor, die moderateren Bischöfe flüchten
sich in Hinhaltetaktik: Eucharistie für Wiederverheiratete,
Segnung für Homosexuelle Paare, all das werde kommen
– aber nicht von heute auf morgen. So etwas brauche seine
Zeit. Warum eigentlich? Weil den Bischöfen der Mut fehle,
diagnostizierte Lammert. Immer wieder
würden sie »ihre Einsichten an der Klosterpforte des
Vatikans« abgeben."
Der nächste Katholikentag
wird in 2014 in Regensburg stattfinden. Dort residiert Gerhard Ludwig
Müller im Bischofspalais, ein klerikaler Despot, der schon
häufiger durch undemokratisches und autoritäres
Gebaren in seinem Herrschaftsbereich auffiel. Dass er alles tun wird,
um Reformbestrebungen abzuwürgen, stellte er schon in Mannheim
unmissverständlich klar. Dort "kanzelte er die Reformgruppen
als »parasitäre Existenzformen« ab" und
kündigte an, "dass er keine »antikatholischen
Umtriebe« dulden werde." – Angesichts dieser
unverschämt-arroganten, menschenverachtenden Einlassungen
Müllers hätte es doch einen lauten Aufschrei oder
einen Hagel fauler Eier und Tomaten geben müssen –
nichts dergleichen wurde in den Medien dokumentiert …
Ich weiß nicht, ob meine
Einschätzung die Situation treffend beschreibt, auf den ersten
Blick zumindest hat dieser Katholikentag einmal mehr
bestätigt, was Giovanni di Lorenzo in DIE
ZEIT vom 05.02.2009 als Hemmnis für einen
raschen Wandel im Herrschaftsbereich der römischen Konfession
so beschrieb: »..., weil selbst kritische Katholiken in aller
Regel Meister der Frustrationstoleranz sind.«
Ein weiteres Hemmnis für
rasche Reformen in der römischen Kirche liegt sicher darin
begründet, dass die "sogenannten Laien", ganz besonders die
unzähligen Frauen unter ihnen, ihre Macht sträflich
unterschätzen. Sie gehen grundsätzlich davon aus, sie
dienten einer 'guten Sache', wenn sie daran mitwirkten, die 'Frohe
Botschaft' zu verbreiten oder 'Kirche bei den Menschen' zu
praktizieren, und der Gedanke an ein kollektives Aufbegehren
wäre für sie wohl so etwas wie ein
'sündhafter' Verrat an jener 'guten Sache'.
Tatsächlich dient ihr aufrichtiges, aber ganz und gar
unkritisches, Engagement der Aufrechterhaltung der Macht einer
vergleichsweise kleinen Clique klerikaler Despoten. Letztere wiederum
verlassen sich wohl darauf, dass die meisten ihrer 'Schäfchen'
schon in ihrer Kindheit, durch lange erprobte Rituale, so nachhaltig
mit dem religiösen Virus infiziert wurden, dass sie
weitestgehend resistent sind gegenüber reformerischen oder gar
ketzerischen Denkansätzen.
Aber vielleicht kommt dennoch etwas
in Bewegung. Der Verfasser des Zeitungsartikels wirft gegen Schluss
einen kurzen Blick in die mögliche Zukunft der Reformbewegung:
"Nicht nur für Lammert muss der Aufbruch von
unten kommen. Aber was passiert, wenn dazu die Kraft nicht reicht? Dann
ziehen sich die Engagierten zurück, oder sie erklimmen die
nächste Eskalationsstufe wie ein Teil der Priester in
Österreich und Irland, die zum Ungehorsam aufrufen."
Sehr bezeichnend ist in diesem
Zusammenhang die Tatsache, dass der Vatikan parallel zum Katholikentag
ein Kontrastprogramm inszenierte: Die römischen
Großkleriker berieten hinter verschlossenen Türen
über die angestrebte Rückführung der Piusbrüder in die
römische Glaubensgemeinschaft. Die Einverleibung einer
erzkonservativen Bruderschaft, die geradezu mittelalterliche
Glaubensvorstellungen vertritt, ist Joseph Aloisius Ratzinger und
seinen Vasallen allemal wichtiger als die kleinste Reform (s.
auch hier).
Anmerkung
Ich habe den Begriff »Laie« immer
schon als etwas empfunden, was im organisierten Christentum der Bildung
einer Zweiklassengesellschaft diente und noch dient: als
völlig unangemessene Höherbewertung der Theologen
durch Abwertung aller Nichttheologen. Meine Tageszeitung spricht
immerhin von den "sogenannten Laien".
Befinden sich die eigentlichen »Laien«, vor allem
im römischen Milieu, nicht eher an den Altären, auf
den Kanzeln oder in den Bischofsresidenzen? Notwendiges Wissen
und reiche Lebenserfahrung, wichtige Voraussetzungen
für Realitätsnähe und Verständnis
für die Lebenswirklichkeit der »Laien«,
können die autoritätshörigen Kleriker mit
ihrem von Zölibat und archaischen Dogmen eingeengten Denk- und
Erfahrungshorizont doch kaum erwerben.
27.
Februar 2012
Die "Fesseln des
Religiösen"
DIE ZEIT vom 09. Februar 2012
brachte auf ihrer ersten Seite einen Beitrag mit der
Überschrift Scharia? Hier nicht. Er
stammte vom Politik-Redakteur Heinrich Wefing. Es ging im Wesentlichen
um die Aufregung, die der rheinland-pfälzische Justizminister
Jochen Hartloff (SPD) durch Äußerungen
"gegenüber einem Berliner Boulevardblatt" ausgelöst
hatte: Er hatte laut über die Möglichkeit
nachgedacht, "islamische Schiedsgerichte als Schlichter in bestimmten
Fällen" einzusetzen, "ausdrücklich nicht in
Strafsachen, aber bei Erbstreitigkeiten oder Ehescheidungen."
Vorausgesetzt wird, dass die Bundesrepublik Deutschland das
entsprechende Recht des Herkunftslandes anerkannt hat.
Abgesehen davon, dass es zu diesem
Thema m. E. kein Denkverbot geben darf, erregte etwas ganz anderes mein
Interesse an dem ZEIT-Beitrag. Es waren diese –
unmittelbar einleuchtenden –
Sätze:
"Recht und Religion gehen nicht
bruchlos zusammen. Historisch
musste das Recht erst die Fesseln des Religiösen abstreifen,
ehe es wirklich liberal und universell werden konnte. Es
gehört aber paradoxerweise zu den großen
Errungenschaften dieser Liberalität, dass das Recht im Westen
heute die Religionsfreiheit schützt, so wie alle anderen
Grundrechte auch."
Anmerkung
Hervorhebung
im Zitat stammt vom Autor der Site.
Es war noch nicht sehr lange her,
dass ich mich intensiver mit »christlicher
Ethik«, »christlichen
Werten« etc. befasst hatte (s. hier), daher mussten
mir die zitierten Sätze ins Auge springen. Welch ein Kontrast
wird sichtbar, vergleicht man diese Sätze z. B. mit den
Aussagen der theologischen Vordenker der EKD über die Zehn
Gebote: "Darüber hinaus sind sie sowohl das Urmaterial der
Gesetzgebung in allen westlichen Zivilisationen als auch die
unbestrittene Grundlage unserer Kultur" (mehr s. hier).
Und noch eines:
"Liberalität" und Religion gehen nicht nur "nicht bruchlos
zusammen", sie gehen überhaupt nicht
zusammen.
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